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Der Peitlerkofel

Ich sitze am Peitlerkofel. Gestern und heute haben mich den Dolomiten sehr nahe gebracht. Jetzt liegt der Kofel direkt vor mir, nur ein Tal trennt mich von ihm. Morgen schon wird er hinter mir liegen.

Beim Planen meiner Route habe ich mich auf diesen Moment gefreut. Vielleicht, weil dieser Punkt der Route mir vertraut ist. Vor sieben Jahren haben Ilian und ich hier ganz in der Nähe Urlaub gemacht. Manche Wege hier sind wir gegangen. Manche Bergspitzen habe ich gestern und heute beim Laufen wiedererkannt.

Gestern war wieder ein 20-Kilometer-Tag. Die ersten vier Kilometer haben wir, dieses Mal eine Dreier-Besetzung, per Bus zurückgelegt. Die Alternative wäre ein Straßenmarsch gewesen. Darauf hatten wir keine Lust. Es ist immer wieder überraschend, wie jeder Wanderer entscheidet. Für manchen sind Bus und Seilbahn ein NoGo, andere wiederum nutzen es über das Notwendige hinaus. So entdecke ich auch überrascht den Mann an der Bushaltestelle, von dem ich dachte, er würde alles laufen. Und er fährt sogar fünf Kilometer weiter mit dem Bus als wir!

Bevor wir aufsteigen, nutzen wir den Supermarkt in Niedervintl, um uns einzudecken. Müsliriegel, Kekse … Energiefutter halt. Ich nehme noch zwei Äpfel mit. Insgesamt erschlägt uns das Angebot aber. Es ist fast so, als würde uns die Stadt hinausjagen in die Berge. Wir gehen gerne.

Der Anstieg von 1300 Metern läuft dieses Mal ausschließlich durch Wald. Wir sind dankbar für den Schatten. Wir merken, dass wir nun nicht mehr in den Nordalpen unterwegs sind. Es ist jetzt deutlich wärmer. Andererseits steigt man wie blind auf, sieht nichts. Aussicht motiviert. Wir merken, sie fehlt uns. Trotzdem genieße ich die Waldluft, den würzigen Duft der Nadelbäume. Wer weiß, wann wir das nächste Mal durch Wald gehen werden. Inzwischen sind wir eine Vierergruppe. Unterwegs begegnet man immer denselben. Ich stapfe als Schlusslicht hinterher und überlege immer wieder, ob ich mich abseile. Heute empfinde ich das Zusammengehen als Stress. Andererseits die Gruppe zieht auch. Allein wäre ich sicher nicht so schnell oben.

Mittags löse ich mich dann von unserer kleinen Gruppe. Irgendwie brauche ich Zeit für mich. Die Almen Richtung Peitlerkofel wandere ich allein, genieße das sanfte Auf und Ab, das Grün vor den schroffen Felsen. Hier ist es wirklich schön. So ganz anders als noch vor ein paar Tagen. Freundlich, einladend, überhaupt nicht rauh. Ich fühle mich wohl. Aber auch verloren. Und immer wieder die Frage: Was tu ich hier eigentlich?

In den letzten Tagen versuche ich, schlau aus mir zu werden. Frage mich, was ich hier eigentlich will und suche. Ich bin jetzt fast zwei Wochen unterwegs. Die letzten Tage waren geprägt vom Zusammensein mit den Venedigwanderern. Ich habe es genossen und es war mir zuviel. Sie haben gerade Halbzeit, reden schon davon, was sie in Venedig tun werden. Da bin ich irgendwie außen vor. Auch merke ich, dass mein Wandern für mich nicht nur Wandern ist oder irgendeine Tour und nächstes Jahr mache ich vielleicht die nächste, für mich ist diese Zeit jetzt etwas Besonderes und Einmaliges.

Die meisten, mit denen ich die letzten Tage unterwegs war, sind jünger als ich, springen grad ins Leben, haben Pläne und Kraft. Sie laufen dieses Jahr nach Venedig, haben aber auch weiter Großes vor. Mein Leben ist anders. Bei mir sind manche Träume längst geplatzt, viele Weichen gestellt, ich merke, ich mache das hier nicht nur aus Spaß. Mein Weg hier soll etwas Besonderes sein. Aber ich suche noch nach dem Besonderen. Was will ich?

Ich merke, ich vermisse meinen Mann. Ich will das hier eigentlich gar nicht allein erleben. Will nicht allein an den Stellen sein, die eigentlich unsere sind. Gestern habe ich im Gras gehockt und geheult. Und irgendwann gemerkt, dass sich ein Grashüpfer auf meinem Schuh niedergelassen hat. Als würde Gott mir sagen: „Schau, du bist nicht allein hier.“

Die letzte Woche war körperlich anstrengend. Die nächsten werden leichter werden. Heute und morgen habe ich bewusst kurze Tage eingeplant. Zum Ausruhen. Und ich merke, es werden auch Denk- und Schreibtage sein. Ich muss wissen, was ich will und brauche. Gerade kommt mir alles so unsinnig vor. Ich merke, ich könnte nach Hause fahren. Ja, ich liebe Berge, aber irgendwie habe ich auch genug.

Heute habe ich ein Einzelzimmer auf der Maurerberghütte. Das ist genau richtig. Den Weg hierher bin ich allein gelaufen. Ich wollte es so und es tat gut. Überhaupt haben sich heute unsere Wege getrennt. Viele Hütten sind ausgebucht, jeder schläft heute woanders. Die anderen werden mir jetzt voraus sein und in ein paar Tagen werde ich ohnehin Richtung Westen abdrehen.

Das Verkriechen in meinem Hüttenzimmer tut mir gut. Endlich mal wieder alles sortieren. Im Rucksack und im Kopf. Mal wieder Platz, um in Ruhe die Wanderkarten auszubreiten und die nächsten Tage zu studieren. Meine WanderApp ist zwar von unschätzbarem Wert, aber Papierkarten sind einfach was anderes.

Draußen ist der Regen vorbeigezogen. Die Wolken hängen tief, aber die Sonne scheint durch. Ab und zu gibt der Peitlerkofel den Blick frei. Ich merke, die Ruhe tut mir gut. Die Freude hat sich langsam wieder hereingeschlichen. Wege suchen, Wege finden. Ich bin dabei.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


Ein Gedanke zu „Der Peitlerkofel“

  1. Hallo mein Schatz,
    Ich vermisse dich auch und freue mich über jeden Bericht und die Fotos. Ich freue mich auch über die Telefonate mit dir!
    Viele haben mir heute liebe Grüße für dich mitgegeben. Einige lesen mit Interesse deine Berichte…
    Bis bald! Hab dich lieb!
    Dein Ilian

Danke für deinen Kommentar.

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