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Gute Gesellschaft

Der Tag heute geht spannend los, denn die zwei Mädels, die mit mir in der Pension schlafen und ich haben noch keinen vom Haus gesehen. Gestern hing nur ein Zettel mit der Zimmernummer an der Haustür. Die Bauern haben aber noch bis in die Nacht Heu gemacht. Als wir zum Frühstück kommen, hat schon ein entspannter, älterer Herr alles für uns vorbereitet. Beim Heumachen kann ich mir die hagere Gestalt supergut vorstellen, aber er bewirtet uns auch gut. Unterwegs meint dann jemand, seine Frau sei vor drei Jahren verstorben. Irgendwie war die Leere im Haus zu spüren. Als ich mich bedanke und verabschiede, wünsche ich ihm alles Gute.

Ich bin heute Morgen fitter. Vor dem Losgehen habe ich mir meine Blase von gestern noch mal angeschaut und sie mit einem Blasenpflaster verarztet. Meine Knie sind auch wieder munter. Mal schauen, wie das Laufen gehen wird.

Als ich aus unserer Pension komme, sehe ich schon von Weitem den Holländer, den ich gestern Abend beim Pastaessen kennengelernt habe. Ein älterer Herr, vielleicht Mitte siebzig. In jedem Fall ein Original. Er ist mit Zelt unterwegs wie ich und an seinem Rucksack sehe ich noch allerlei Anderes baumeln. Auf meine Frage nach dem Rucksackgewicht lächelt er und sagt: „Zu viel.“ Er ist die Strecke München-Venedig schon dreimal gelaufen. Dieses Mal, meint er, würde er es wirklich genießen, nicht so schnell gehen. Vielleicht läuft man ja beim vierten Mal wirklich anders? Er wird heute jedenfalls keine acht Stunden laufen wie wir, das sei ihm zu viel, sondern sich nach fünf Stunden irgendwo ein schönes Schlafplätzchen suchen. Das Anfangsstück gehen wir gemeinsam, dann lässt er mich ziehen.

Der Weg verläuft durch Wald und später über Wiesen. Er führt hinein in ein saftiges Hochtal. Das ist mehr meine Welt als gestern. Hier fühle ich mich wohl,
kann entspannt jeden Schritt setzen. Der Aufstieg strengt an, ist aber an keiner Stelle gefährlich. Immer wieder grasende Kühe, weiter oben Schafe. Ich spüre, der Tag wird meiner. Meine Füße laufen, genießen. Meine Blase am Zeh läuft einfach mit. Die Sonne scheint wie die letzten Tage auch.

Nach den ersten zwei Stunden, die mich tief in das Tal und in die Höhe führen, erreiche ich ein Hochplateau. Von hier kann man in alle Richtungen gucken: auf den Gletscher mit seinem Bach, zurück ins Tal und rauf zur Gliderscharte, die heute zu queren ist und gegen die Alpeiner Scharte von gestern sehr gemütlich aussieht. Auf dem Plateau treffe ich die zwei Mädels aus der Pension wieder zusammen mit einer Studentin, die ich schon vom Frühstück auf der Geraer Hütte kenne. Ein junger Mann ist auch noch dabei. Ich hocke mich dazu, genieße den Ausblick, es ist ein nettes Zusammensein.

Heute wird mein geselliger Tag, denn den Rest des Weges gehen wir gemeinsam. Irgendwie passt es. Beim Aufstieg zur Scharte hat jeder sein Tempo. Oben machen wir Pause, sitzen windgeschützt hinterm Fels. Wir blicken hinunter auf den See. Dort machen wir die nächste Pause. Dann eine Stunde weiter bis zur Engadinalm. Nächste Pause. Dieses Mal mit Ziegenfrischkäse, die Ziegen haben wir unterwegs getroffen, Brot, Gurke unx Tomate. Lecker. Zusammen macht man mehr Pausen als allein. Ich muss wohl auch lernen, Pause zu machen.

Obwohl wir heute fast 20 Kilometer laufen und auch 1200 Höhenmeter haben, kommt mir der Tag leicht vor. Die Wege sind schön und grün, die Aussicht immer wieder schön. Heute sehen wir auch zum ersten Mal die Dolomiten. Zacken ganz in der Ferne, aber schon morgen werden wir ihnen nahekommen. Wie schnell das geht!

Der Abstieg nach Pfunders zieht sich theoretisch. Heute aber nicht. Wir stapfen vor uns hin, reden. Es läuft einfach. Am Ende staunen wir alle, wie leicht der Tag war. Die letzten Tage waren deutlich anstrengender und es beruhigt mich ziemlich, dass auch die Studentin die Alpeiner Scharte schwer fand und auch ihr nach dem gestrigen Tag die Knie wehtun.

Überhaupt, der Austausch in der Gruppe tut gut. Irgendwas hat jeder. Blasen, Knie, Ferse. Jeder hat seine Schwachstelle und da wir alle inzwischen schon fast zwei Wochen unterwegs sind, kennt jeder seine. Wir lächeln darüber, haben wir es doch bis hierher geschafft. Jeder erlebt den Weg und die Tage anders. Jeder hat seinen eigenen Weg, seine eigenen Herausforderungen, seine Tief- und Höhepunkte.

Als wir im Gasthof in Pfunders ankommen, ist mal wieder die warme Dusche das größte. Wie schnell man hier zufrieden ist. Ach, und den Herrn, den ich in Vorderriß an der Isar getroffen hatte, heute auf der Alm habe ich ihn wiedergetroffen. Jeder ist auf seine Weise unterwegs. Die meisten nach Venedig und ich halt zum Comer See.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Gute Gesellschaft“

  1. Guten Morgen, liebe Steffi!
    Ich bin gerade in Gedanken mit dir gewandert. Hab mit Dir ins Tal zum See geblickt, die gute Luft genossen und die Blasen gespürt…all das kenne ich auch von unseren Bergwanderugen in den Dolomiten…
    Für uns sind die Klettersteige leider nicht mehr zu schaffen…..es ist ein bisschen traurig. Dafür war es so schön mit Dir all das nach zu spüren.
    Wander behütet weiter, liebe Steffi.
    Ich schau ab und zu mal rein und genieße mit Dir – ganz ohne Anstrengung.
    Elke

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