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Im Nebel

Wir sind auf der Lamsenjochhütte auf über 1900 Metern angekommen. Die letzte Station vor dem Inntal. Morgen werden wir absteigen und den ersten Abschnitt unserer Tour abschließen.

Die letzten zwei Tage waren Quälerei. Wir haben uns eine Erkältung eingefangen, waren froh, als wir gestern Mittag auf der Binsalm ankamen und unser 2-er Zimmer beziehen konnten. Den Rest des Tages haben wir gemütlich im Bett verbracht, einfach nur rumgeschnieft und rumgelegen. Tat gut. Vielleicht war es auch die Nachwirkung von der langen Tour am Vortag. Heute war unsere Laufstrecke zum Glück nur kurz und so sind wir schon gegen 12 auf der Hütte und trocknen uns, schlürfen Tee.

Der Trockenraum im Keller, in dem Schuhe und alles Nasse geparkt werden, ist ein Segen. Im Gitternetz an der Decke hängt ein ganzer Kleiderbügelwald, in dem wir alles aufbaumeln, im Nebenraum der Schuhtrockner, auf dessen warme Heizstäbe wir unsere Schuhe stecken. Und auch sonst ist die Erfindung „Trockenraum“ sinnvoll. Erstens bleibt so der Schuh- und Schweißmief allen Schlafgemächern fern und zweitens wird alles morgen früh auch wirklich trocken sein.

Gestern Abend hatten die Wolken schon mit den Bergen gespielt. Die angekündigte Schlechtwetterfront hatte aber netterweise auf sich warten lassen. Heute Morgen ist es grau und wir hängen auf unserer Alm mittendrin. Als wir loslaufen, beginnt es zu regnen. Wir setzen unsere Rucksäcke gleich wieder ab, packen uns ein in Regenjacke und Regenhose und auch der Rucksack bekommt seine Regenhülle. Heute wird uns der Regen begleiten, das ist klar. Bis zur Lamsenjochhütte stapfen wir ziemlich schweigsam bergauf, jede mit sich selbst beschäftigt. Fit sind wir nicht, aber das Laufen und die frische Luft tun gut. Der Wolkennebel passt heute. Wir sind ganz bei uns, brauchen keine Energie an Ausblicke verschwenden. Einfach nur Schritt für Schritt bergauf. Der Regen trommelt fast massageartig auf unseren Kopf. So bewusst habe ich Regen noch nie gespürt. Zu Hause spanne ich den Schirm auf oder gehe rein. Hier ist man einfach mittendrin. Was kommt, ist da und ich arrangiere mich damit. Nach einer Stunde wird es trockener. Unterwegs sehen wir viele Salamander auf dem Weg, reglos wie tot sitzen sie da, warten auf die Sonne. Weiter oben werden die Wolken dann doch dünner und für ein paar Minuten kriegen Mensch und Tier Sonne ab. Ich gönne es den Salamandern. Später zieht es sich wieder zu.

Wir hocken in der Hütte, eingehüllt in Wolken. Von den 2500 Meter hohen Felswänden ist nichts zu sehen. Auch die Gemsenherde ist im Nebel verschwunden und die Murmeltierfamilie, die vorhin noch unweit der Hütte getollt ist, ist verschluckt. Die Lamsenjochhütte ist kleiner als die Falkenhütte mit ihren 135 Schlafplätzen. Es ist gemütlich. Voll wird die Hütte vermutlich nicht werden heute, hoffen wir zumindest. Denn es verspricht mehr Platz im Bettenlager. Den Nachmittag verbringen wir in einem Eck in der Gaststube. In anderen Ecken wird gestrickt, gespielt, gegessen, gelesen, der nächste Tag geplant oder umgeplant … Ich schreibe und meine Schwester hat im Regal das Buch „Mit zwei Elefanten über die Alpen: Eine Familie wandert von München nach Venedig“ entdeckt – das Buch, mit dem mein Traum vor Jahren begann. Es hier auf der Strecke in den Bergen zu finden, während wir unterwegs sind, ist etwas Besonderes. Wie wird meine Reise weitergehen? Wie dick wird „mein Buch“ am Ende sein? Ein älterer Herr mit Buch gesellt sich zu uns. Wir kennen ihn schon von der Falkenhütte. Manchen begegnet man immer wieder.

Fast eine Woche bin ich nun unterwegs. Die Zeit ist langsam vergangen, als hätte sie sich unseren kleinen, langsamen Schritten angepasst. Vergeht Zeit schneller, wenn man rennt? Trotz allem war die Zeit gefüllt und intensiv. Es tat gut, einfach nur da zu sein, zu laufen, nur mit Rucksack unterwegs zu sein. Ich habe nichts vermisst. Nur einen Apfel. Obst ist hier oben mau. Klar, es wächst hier auch nicht und alles, was wir essen, muss mühsam auf den Berg gebracht werden. Wie gut, dass es Hütten und Almen überhaupt gibt. Kein Luxus, aber einfach Inseln zum Durchatmen, Auftanken, Schlafen. Und morgens geht wieder jeder seiner Wege. Wie wir.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


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