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Inntal und Abschied

Ich sitze an Bahnsteig 3 in Schwaz, den Rücken am Getränkeautomaten, den Blick in Richtung Lamsenjoch. Auch heute verbirgt es sich noch in den Wolken, hat meiner Schwester keinen Abschiedsblick gegönnt. Gerade ist sie in ihren Zug Richtung Heimat gestiegen. Meiner kommt in 20 Minuten. Um wieder auf der München-Venedig-Route zu landen, fahre ich zehn Minuten Richtung Innsbruck.

Meine Gedanken wandern zurück. Gestern Morgen auf der Lamsenjochhütte habe ich ins Handy getippt: „Ich liege in meiner Schlafkoje. Das Bettenlager war gestern so leer, dass ich zwei Matratzen für mich habe. Luxus! Geschlafen habe ich trotzdem nur mäßig. Es war lange unruhig und in mir irgendwie auch. Das Lager ist direkt unterm Dach in die Schrägen eingebettet. Die ganze Nacht über hat der Wind geheult und am Haus gezerrt. Ich war dankbar für meine warme und trockene Nische. Der Wind peitscht immer noch Regen gegen die Hütte. Heute habe ich keine Lust auf Regen. Ein Abstieg im Trockenen wäre echt schön. Es ist kurz vor sieben, draußen liegt alles in den Wolken. Naja, erst mal aufstehen, frühstücken, den Wetterbericht der Hüttenwirtin checken. Und vielleicht sieht es ja nachher schon ganz anders aus …“

Der Tag war dann doch klatschnass, der Abstieg von der Lamsenjochhütte trotzdem schön. Weiter unten fast ein bisschen wie Regenwald. Weiter oben weite und wilde Geröllfelder. Es ist nicht zu übersehen, wie Gebirge lebt, wie jedes Frühjahr und Wetter die Landschaft verändert und jeder, der eine Alm oder Hütte zu versorgen hat, im Frühjahr erst mal schauen muss, ob der Zuweg noch passierbar ist.

Als wir Mittags in Schwaz im Tal sind, sind wir fast erschlagen. Zu viele Häuser, Autos, die Autobahn, Busse, Lärm. Wie anders die Welt doch in den Bergen ist, welch einen Unterschied nur vier Stunden Abstieg machen. Auch dieses Mal laufen wir immer wieder schweigsam. Meine Schwester nimmt Abschied von den Bergen, kostet aus. Ich bin mit meinen Gedanken voraus, denke ans Alleinewandern.

Zu zweit wandern ist anders. Manchmal auch mühsamer. Ich muss mich auf den andern und sein Tempo einstellen. Aber es war auch schön und wir haben einander wohl mehr gegeben, als wir denken. Gestern Abend haben wir nach einem Eis noch gemütlich im Hotelzimmer gesessen, Brötchen gefuttert, ein bisschen Wellness gemacht, gequatscht über das Leben, von dem wir eine Woche weit weg und in dem wir mittendrin waren. Nicht nur die Fußmassagen meiner Schwester werden mir fehlen. Meine große Schwester hat mich auch gehalten, mir den Rücken für meinen verrückten Traum gestärkt. Wir wissen, es war eine besondere Zeit, eine geschenkte Zeit. Und wir sind stolz. Wir haben es übers Karwendel geschafft. Zusammen. Beim Abschied am Bahnsteig heulen wir beide. Sind dankbar, bewegt, berührt.

Es war eine erlebnisreiche Woche. Vor einer Woche sind wir in Lenggries gestartet. Schwitzend bei Sonnenschein gestartet mit tollem Panorama, unterwegs Wasserfälle, eindrucksvolle Täler, Kühe, Gemsen, Salamander. Mancher Weg war tatsächlich auch nicht schön, andere dafür umso schöner. Jede Unterkunft anders. Heute, sieben Tage später, sitze ich in Schwaz, werde nachher weiterlaufen Richtung Tuxer Alpen. Allein. Die vergangene Woche war ein guter Einstieg, hat mich manches gelehrt. Gestern habe ich meinen Rucksack noch mal sortiert, meiner Schwester zwei Kilo wieder mit zurückgegeben. Ich habe lange überlegt. Mein Zelt ist weiter an Bord. Auch das war die Frage. Aber ich werde auch manchen Campingplatz anlaufen in den nächsten Wochen und wollte nicht umplanen. Wie es jetzt ist, sollte es gehen. Gestern habe ich noch mal ordentlich Proviant gekauft. Wenn ich gut esse, wird der Rucksack noch leichter :).

Inzwischen liegt die kurze Zugfahrt hinter mir. Ich sitze am Inn, die Sonne scheint mir auf den Bauch. Erstaunlich, wie schnell es einem heiß sein kann. Die letzten Tage habe ich kaum geschwitzt. Das Wetter für die kommende Woche ist gut angesagt, was mich erleichtert. Die Tuxer Alpen, der Alpenhauptkamm, sind bei schönem Wetter leichter zu besteigen. Ich bin gespannt, werde mich jetzt auf den Weg machen. In meinem Kopf wird es wohl noch ein bisschen arbeiten.

Gute Heimreise, Schwesterherz! Und danke für alles und dass ich mit dir unterwegs sein durfte!


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


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