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Karwendelgedanken

Noch ist alles still im Matrazenlager der Falkenhütte. Heute Nacht waren es aneinandergereihte Viererkojen, in denen wir untergebracht sind. Zum Glück sind gestern nicht alle angemeldeten Wanderer gekommen. Das liegt wohl an der Schlechtwetterfront, die gerade anmarschiert. So haben wir mehr Platz, denn die Matratzen sind hier oben schmal. Trotzdem ist es gemütlich und trotz der vielen Leute luftig. Gerade dämmert es, die ersten bewegen sich, aus der hinteren Ecke höre ich einen leisen Schnarcher. Bisher hatten wir Glück. Oropax und Augenbinde tun im Lager trotzdem gut. Ich kann besser abschalten und runterfahren.

Gestern war unsere bisher längste Tour. 17 Kilometer und 1020 Höhenmeter. Sieben Stunden, viel Schweiß und zum Teil lange Abschnitte gemeinsam mit Mountainbikern haben uns den Aufstieg etwas verleidet. Wanderpfade laufen sich deutlich besser. An der Hütte haben wir dann generkt, es hätte doch eine Alternative gegeben. Sie war nur irreführend ausgeschildert und so treffen wir oben auch einige, denen es ähnlich ging wie uns.

Auch merken wir heute, dass wir für einige Tage von der München-Venedig-Route abweichen. Während wir in den letzten Tagen immer wieder Wanderern begegnet sind, die nach Venedig laufen, oft beachtlich sportlich und zügig unterwegs, ist auf der Falkenhütte anderes Klientel, der Weg unbekannt und kein Thema. Die meisten machen eine kurze Tour im Karwendel. Keiner, mit dem wir ins Gespräch kommen, läuft weiter. Wir bekommen anerkennende Blicke, dass wir aus Lenggries losgelaufen sind. Und ich komme mir mit meinem Ziel etwas exotisch, fast übermütig vor, erwähne es nicht. Irgendwie passt es nicht. Wir erzählen, dass wir auf dem Weg ins Inntal sind. Und das stimmt ja auch. Trotzdem wandern meine Gedanken zu Max und Jürgen und dem Mann aus Franken, Venedig-Wanderer, die wir in den letzten Tagen kennengelernt haben. Alle sympathisch, allein unterwegs und ganz unterschiedlich. Der eine bummelt seine Überstunden ab, der andere nutzt die Zeit zwischen zwei Jobs … aber alle wollten schon immer mal die Route laufen. Wie ich.

Hier oben kommt man schnell ins Gespräch. Irgendwie erkenne ich die Venedig-Wanderer. Und da ich auch drei Wochen auf der Route unterwegs sein werde, fühle ich mich als einer von ihnen. Wenn ich mein Ziel, den Comer See, nenne, sind die meisten erstaunt, nicken anerkennend, sind wir schnell im Austausch. Und immer, wenn sich die Wege trennen, wünschen wir uns gegenseitig eine gute Tour. Schade, dass man sich meist nicht wiedersieht. Ob es jeder schafft? Bisher traue ich es allen zu.

Von der Falkenhütte blicken wir durchs Tal zurück und sehen in der Ferne das Brauneck, unseren ersten Berg von vor mittlerweile vier Tagen. Erstaunlich, wie weit wir schon gelaufen sind. Und auch die Karwendelkette, die gestern noch gut entfernt war, heute liegt sie genau vor uns und unsere Hütte genau davor auf einen Sattel, der uns wunderschön auf die Ketten links und rechts blicken lässt.

Mal schauen, wie lange. Gestern Abend hieß es, heute Nacht kommen Sturm, Gewitter und Regen, zumindest sagte das die Hüttenmannschaft, die sich normalerweise auskennt. Im Moment ist es aber ruhig draußen und andere Wetterprognosen haben noch einen guten Vormittag vorhergesagt. Wir würden uns freuen. Morgen wird uns der Regen dann aber wirklich einholen. Gut, dass wir morgen nur eine kurze Strecke zur nächsten Hütte haben. Alles andere müssen dann die Regenklamotten leisten.

Mittlerweile haben sich unsere Füße ans Laufen gewöhnt und selbst gestern nach dem langen Tag waren wir erstaunlich schnell wieder fit und ein Abendspaziergang musste noch sein. Die Aussicht hier oben ist grandios, fast unwirklich. Wir sind mittendrin im Karwendel, um uns herum mächtige, graue Felswände, denen die Abendsonne oft Farbe ins Gesicht zeichnet. Dazwischen viel Grün, das der Landschaft etwas Liebliches und Sanftes verleiht. Und auf den grünen Flächen immer wieder Punkte, Weidevieh. Auch jetzt höre ich Kuhglocken. Sie stören nicht, passen hierher.

Ich merke, ich bin in den Bergen angekommen, bin jetzt wirklich hier und alles andere weit weg. Laufen, schlafen, essen, das ist grad meine Routine, staunen und schwitzen. Und Rucksack packen. So richtig habe ich mein System noch nicht gefunden. Nach Ankunft und vor Abreise türmt sich immer alles auf meinem Bett. Es nervt mich, aber was solll’s. Bis jetzt ging’s. In vier Wochen bin ich bestimmt Routinier. Wenigstens habe ich alles in Plastiksäcken sortiert, sozusagen meine Schubladen.

Ich gehe entspannt in den Tag. Merke nur, ich will endlich aufstehen, bin ausgeschlafen. Aber ich genieße auch meine Schreibzeit am Morgen.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


Ein Gedanke zu „Karwendelgedanken“

  1. Hab eben im Blog deinen Bericht gelesen und wir sind in Gedanken bei euch und hoffen, das es mit dem Schlechtwetter nicht zu arg wird. Drückt euch mal lieb von uns, dein Papa und Roswitha

Danke für deinen Kommentar.

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