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Mondlandschaften

Montag. Jetzt bin ich so richtig in den Dolomiten gelandet. Fels überall. Heute habe ich ausgehend von der Schlüterhütte auf 2300 Metern, sie liegt südlich des Peitlerkofels, das gesamte Puez-Geisler-Gebiet durchquert. Heute Morgen ging es gleich über die Roascharte. Sie sah schon von Weitem gut herausfordernd aus, zwischen mächtigen Felstürmen liegend, aber es war auch ein klarer Weg erkennbar. Also bin ich mutig losgestapft. Heute habe ich gemerkt, es geht. Meine Füße sind sicher, finden Halt, wollen laufen. Oben auf der Scharte war ich vom Ausblick fast ein bisschen enttäuscht: alles nur Felsen, Felswände, wohin man auch blickt. Keine Weite. Mir fehlt das Liebliche. Es ist mir zu gewaltig, zu vehement. In jedem Fall aber beeindruckend. Vielleicht muss ich für mich die Schönheit erst entdecken?

Trotzdem wird heute ein Tag mit Ausblicken, das weiß ich, denn mein Weg lotst mich zwanzig Kilometer hindurch durch die Felsen. Die Nivesscharte lasse ich aus, denn ich kann sie umgehen. Ich habe keine Lust auf Kletterei. Dafür muss ich allerdings etwas absteigen, dann wieder aufsteigen. Und doch klettern. Es geht, schwierige Stellen sind mit dem Stahlseil versichert, aber ich denke mir doch: Da hättest du auch die Scharte laufen können. Aber ich weiß es nicht genau. Ich habe meine Entscheidung getroffen und gut so. Zu viel Grübelei über das, was war, hilft auch nicht.

Inzwischen ist die Aussicht großartig. Ich kann endlich auch in die Weite sehen und es gibt immer wieder Grün. Ich komme an einer Schafherde mit Lämmern vorbei. Ob sie eine Ahnung davon haben, wie einzigartig ihre Hochweide liegt? Irgendwann sehe ich nach rechts Wolkenstein und die Seiser Alm, ansonsten überall die klassischen Dolomitenfelsen und -plateaus. Der Weg zur Puezhütte führt mich einmal in großem Bogen auf Höhenwegen herum. Ich kann alles von jeder Seite sehen, mache Pause, setze mich ins Gras, lüfte meine Füße, genieße.

An der Puezhütte, die herrlich oben auf dem Plateau liegt, ist dann plötzlich nicht mehr viel von Bergidylle zu spüren. Gefühlt sind Hunderte von Italienern, Japanern, Amerikanern und natürlich Deutschen unterwegs. Mit Alleinlaufen ist es jetzt vorbei. Der Abstieg nach Colfosco ist superschön, aber wird zum Slalomlauf. Ich bin genervt. Irgendwie geht es, man lässt mich immer wieder vor. Ich will jetzt einfach nur noch ankommen. Zum Glück sehe ich wie ein echter Wanderer aus und man macht mir bereitwillig Platz. Eigenartig, denn die meisten sind gemütlich unterwegs und das ist doch eigentlich schön. Besonders die italienischen Familien kommunizieren lautstark miteinander.

In Colfosco suche ich heute den Campingplatz. Das Wetter ist gut und ich bin gespannt, wie meine Campingpremiere verlaufen wird. Schließlich habe ich mein Zelt jetzt schon fast 200 Kilometer herumgeschleppt. Die Dame an der Rezeption ist nett und kann kaum glauben, dass ich aus Deutschland gelaufen komme. Ich kriege die Zeltnummer vier und dann mache ich mich an den Aufbau. Mein Nachbar beäugt mich kritisch. Man sieht mir wohl an, dass ich das noch nicht so oft gemacht habe. Ich bin froh, als die Heringe endlich im trockenen, harten Boden feststecken, das Zelt steht. Heute Nacht wird es schon aushalten. Bei Sturm würde ich ihm nicht über den Weg trauen … Auch heute gibt’s danach die Dusche, allerdings ohne Drei-Euro-Duschmarke und Zeitlimit. Nach so einem Wandertag tut es immer gut, sich den Schweiß von der Haut zu waschen. Unabhängig davon rieche ich aber schon lang nicht mehr frisch, sondern schlicht nach Wanderer. Man kann unmöglich immer alle Klamotten waschen und am nächsten Tag ist ja eh wieder schwitzen angesagt.

So langsam füllt sich der Campingplatz. Ich muss nachher unbedingt noch Ordnung und System in meinen Rucksack und mein Zelt bringen, hoffe, dass ich morgen früh nicht zu sehr mit Feuchtigkeit zu kämpfen habe. Das Zelt ist einfach mini und ich muss schauen, was ich wie verstaue, aber irgendwie geht’s mir grad gut und ich bin froh, dass ich mein eigenes Haus dabei hab. Es ist grad schön, keinen anderen Wanderern zu begegnen, einfach nur für mich zu sein.

Dienstag. Die Nacht war abenteuerlich. Auf dem Zeltplatz gibt es zwar sowas wie Nachtruhe, aber anders als auf den Hütten wird das hier großzügig ausgelegt. Dann begann es in der Nacht zu regnen. Erst leise und kleine Tropfen, dann stärker. Ich liege im Zelt und lausche. Aber eher nicht entspannt, denn ich hoffe, das Zelt besteht seine Feuerprobe und ist morgen nicht zu feucht. Mit Einwandzelten ist das so eine Sache. Ich merke, das Zelt hält, die Tropfen bleiben draußen. Machen kann ich eh nichts. Morgen früh muss ich schauen. Einmal donnert es, dann hört der Regen auf, fängt später wieder an. Ich hoffe, bis zum Morgen ist es trocken. Es wird Herausforderung genug, alles trocken einzupacken.

Irgendwann kann ich nicht mehr schlafen. Innen ist es jetzt doch feucht. Die Arbeit muss nachher mein Handtuch erledigen. Ich schäle mich einigermaßen geschickt aus dem kleinen Zelt, versuche, keine Zeltwand zu berühren. Und jetzt? Es ist sechs Uhr. Meine bestellten Brötchen kriege ich erst ab halb acht. Draußen ist es kühl. Erst mal aufs WC. Meine „Sitznachbarin“ scheint sich dasselbe zu denken. Sie hört in der Zelle nebenan Musik …

Gegen neun kann ich dann endlich losziehen. Ich habe alles trocken gelegt. Etwas mühsam, aber ich hab’s geschafft. Die Sonne kam ab acht über die Berge und hat noch mitgeholfen. Meine Campingnachbarn aus Stuttgart wünschen mir alles Gute. Dann geht’s los.

Heute liegt ein Aufstiegstag vor mir. Nur bergauf 1500 Meter. Das Rifugio Boe auf fast 3000 Metern erwartet mich. An der Weggabelung, an der ich laut Karte bergauf müsste, sehe ich, dass das nur für geübte Klettersteiggeher mit Ausrüstung ist. Das kann ich also streichen, suche die Route neu. Zudem sehe ich, dass ich vom Ort her ungünstig geschlafen habe, denn ich muss wieder hoch, was ich gestern abgestiegen bin. Eigene Dummheit. Die ersten 400 Höhenmeter kosten enorm viel Kraft, dabei ist der Weg okay. Wie soll ich heute den Rest nur schaffen?

Dann zweigt der Weg wirklich in die richtige Richtung und nach oben ab. Und es geht. Bald lande ich in einem schönen gerölligen Aufstieg. Er ist anstrengend, ich muss aufpassen, aber Schritt für Schritt geht total gut. Weiter oben wird das Ganze zum Klettersteig, der aber einfach nicht so bezeichnet wird. Die Italiener sind da wohl freier. Jetzt ist der Aufstieg stahlseilversichert und es wird wirklich zur Kletterei. Umdrehen ist keine Option, also Zähne zusammenbeißen, mit voller Aufmerksamkeit die Schritte setzen, mit den Händen am Seil halten. So geht das etwa eine halbe Stunde und ich bin froh, als ich endlich oben bin. Die letzten Schritte vor’m Obensein gehen dann noch mal ganz schnell, ich bin motiviert. Oben erwartet mich eine Aussicht auf hochragende Felsen und ich stehe jetzt auf einer Art Plateau. Es ist eine echte Mondlandschaft. Beeindruckend, aber leblos. Unterwegs habe ich heute mitten im Geröll eine gelbe Blume entdeckt. Weit und breit nichts. Oben erwarten mich lustigerweise auch wieder Bekannte von der Lizumer Hütte. Durch meine Doppeletappe und meine Ruhetage sind wir wieder in einem Rhythmus, staunen gemeinsam. Dann zieht jeder in seinem Tempo allein weiter.

Der Tag bleibt mondlandschaftlich und kletterig. Meine Füße tragen mich über die Felslandschaft, heute tun sie auch nicht weh im Gegensatz zu gestern. Irgendwann nach sechs Stunden lande ich planmäßig an der Boehütte. Eine echte Hochgebirgshütte. Hier habe ich endlich mal wieder Internet. Die letzten Tage war es schwierig.

Ich bin froh, dass ich heute gut geschafft habe. Es ist keine Selbstverständlichkeit, gut anzukommen. Wie schnell knickt man um, wie wichtig ist es in manchem Gelände, die Füße gut und richtig zu setzen. Achtlos laufen funktioniert hier nur auf wenigen Wegen. Und das Gehen fordert Konzentration. Ich kann selten die Gedanken wirklich eigene Wege wandern lassen. Manchmal stört mich das, aber vielleicht ist es einfach so. Sobald ich ankomme, dürfen meine Gedanken aber wandern. Dass ich hier so viel im Blog schreibe, hätte ich nie gedacht. Aber irgendwie hilft es mir, alles festzuhalten. Und ich höre immer wieder direkt oder indirekt, dass doch einige mitlesen. Liebe Grüße an alle stillen und lauten Mitleser!


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


Ein Gedanke zu „Mondlandschaften“

  1. …. ein stiller Mitleser…
    es sind atemberaubende Bilder und die Reise/Kletterbeschreibungen sind toll. Weiterhin eine gute Zeit und gute Wege, passen Sie gut auf
    Ganz herzliche Grüße

Danke für deinen Kommentar.

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