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Planänderungen

Planänderung morgens um sieben. Irgendwie ist es jetzt erst bei mir angekommen, dass die Etappe heute wohl zu sportlich ist. Dabei liegt es auf der Hand. 25 Kilometer, 2000 Höhenmeter und dann könnte ich frühestens gegen neun starten, weil ich ja auch noch den Bahntransfer nach Spondinig habe. Manchmal wundere ich mich über mich. Naja, also sitze ich in Spondinig dann doch wieder an der Bushaltestelle. Bis Stilfs Dorf kann ich mindestens fahren. Das ist jetzt erst mal der Plan. Damit habe ich mir schon mal acht Kilometer und zwei Stunden gespart. Von dort könnte ich mit der 270 weiter nach Trafoi und dort eine Seilbahn nehmen, die mir weitere 600 Höhenmeter abnimmt. So ganz einig ist es in mir allerdings nicht, denn ich habe mal wieder Angst, Schönes zu verpassen. Mein Kopf schüttelt dazu nur den Kopf.

Heute ist ein eigenartiger Tag. Planlos, chaotisch. Ich weiß noch nicht mal, wo ich heute schlafe. Das Rifugio Garibaldi am Stilfser Joch, wo ich hinwill, verweigert jeglichen Mailkontakt mit mir, ist nur Italienisch unterwegs, online buchen geht nur für zwei Personen. Ich habe es von zu Hause aus versucht, hier auch. Vergeblich. Ich hoffe einfach auf einen Schlafplatz. In 3000 Metern Höhe will ich nicht zelten und in Nationalparks ist das ohnehin streng verboten. Auch hoffe ich, dass der Tag heute nicht zu teuer wird. Das Rifugio steht an einem exquisiten Ort, dem Passo Stelvio, der ordentlich vermarktet wird. Ab morgen wird es wieder wilder und weniger touristisch. Dann gibt es auch wieder echte Rifugios (Hütten) und ich habe einen Plan. Vorgebucht habe ich zwar nichts mehr, aber ich setze darauf, dass jetzt September ist, die Ferien vorbei sind und die Hüttensaison ruhig ausläuft. Auch ist die Gegend hier nicht überlaufen. Denke ich, hoffe ich.

Nachmittags um vier. Ich liege am Passo Stelvio in einem abgewohnten, aber sauberen Hotel, unter mir brummen noch Motorräder, das wird sich aber zum Abend hin geben. Hier ist ordentlich was los und es gibt Hotels und Souvenirläden ohne Ende. Mein Rifugio, wo ich hinwollte, war dann doch belegt. Ich weiß aber grad gar nicht, ob mich das stört. Hier, keine fünfzig Meter weiter, habe ich mein eigenes Zimmer und Bad und gerade scheint richtig schön die Sonne auf mein Bett und meinen Rücken. Ich genieße die Wärme, lege mich mitten auf mein Doppelbett in die Sonne. Das tut gut! Meine Reisekasse war übrigens freudig überrascht.

Überraschend wie der Tag heute. Wie sich Pläne doch manchmal ändern. Am Ende bin ich tatsächlich bis Trafoi per Bus gefahren. Sogar gratis, denn meine Gästekarte von der Seiser Alm gilt hier erstaunlicherweise immer noch. Die Seilbahn entpuppte sich am Ende als Sessellift und so bin ich zwanzig Minuten durch die Luft geschwebt und habe gestaunt über den Ortler und sein Massiv, was sich hinter mir aufgebaut hat. Wie anders er aussieht im Vergleich zu den Dolomiten. Pyramidenförmig, vergletschert. Mächtige 3900 Meter und der höchste Gipfel Südtirols, wie ich gerade per Google herausgefunden habe.

Das Wetter ist heute wieder bilderbuchmäßig, nachdem es gestern doch noch ordentlich geregnet und gewittert hat und ich froh war, Zimmer statt wie ursprünglich geplant Zelt gehabt zu haben. Am Himmel ziehen heute nur Schönwetterwolken ihre Bahn, immer wieder hängen sie sich links an den Ortler, als wollten sie ihn nicht allein lassen. Mein Weg führt mich ab der Furkelhütte, der Bergstation vom Lift, gemächlich nach oben, immer am Hang entlang, immer mit Blick auf den Ortler. Es ist ein tolles Panorama und der Goldseesteig ein echter Geheimtipp. Mir fällt heute auf, wie herbstlich die Farben schon werden. Die Blaubeersträucher schimmern schon rötlich. Etliche Beeren hängen noch, inzwischen vertrocknet. Die Fülle des Sommers, über die die Tiere, die hier den Winter überstehen müssen, sicher dankbar sind.

Vorhin bin ich auch noch mal die nächsten Tage durchgegangen. Wie lang sind die Etappen, welche Unterkünfte, was sagt das Wetter. Für morgen habe ich in Valdidentro ein Bett, für übermorgen das Rifugio Viola angefragt – und danach werde ich zwei Tage durch den Schweizzipfel ziehen und dann wieder nach Italien einmarschieren. Ein bisschen Plan ist doch gut. Trotzdem merke ich, ich bin jetzt anders unterwegs als die letzten Wochen. Entspannter?

Mit meiner Isomatte am Rucksack bin ich ziemlich gut als Weitwanderer auszumachen. Heute hat mich ein Pärchen gefragt, ob ich länger unterwegs bin. Ich musste schmunzeln. Als ich meinte, ich wolle zum Comer See, meinte die Dame: „Oh, ich will mitkommen!“ Als sie hörten, dass ich schon drei Wochen und ab Lenggries unterwegs bin, haben sie groß geguckt. Und ich merke, ich kann es irgendwie selbst nicht glauben.

Jetzt sind es noch zwei Wochen. Ich denke grad nur noch vorwärts und gar nicht mehr ans Aufhören, wie so manchmal in den letzten Tagen. Vielleicht war der Umbruch gefühlt von einer Tour in die nächste auch nicht so schlau. Im Grunde bin ich am Piz Boe von München-Venedig auf Wien-Nizza gewechselt. Und dachte, alles wäre ganz einfach. Aber an Wendepunkten kommen wohl immer Fragen. Auch die, was ich mir von den letzten zwei Wochen erhoffe, wenn ich es nicht schon in den vergangenen dreien gefunden habe.

Ich merke, ich habe mehr Euphorie, Freude, Lebendigkeit für mich auf diesem Weg erwartet. Mehr Nähe zu Gott. Mehr Berührtsein. Mehr Staunen. Mehr Erkenntnisse. Aber das alles stellt sich eben nicht automatisch ein. Die Alpen sind kein Glücksschalter und unterwegs begegnet man eben auch sich. Die letzten Tage habe ich viel geschrieben, auch Gott. Ich merke, schreiben ist mein Anker. Wenn ich die Wahl zwischen Schreiben und Bergen treffen müsste, ich würde mich wohl für Papier und Stift entscheiden.

Manchmal habe ich in letzter Zeit gedacht, die tollen Panoramen ziehen auch viel Aufmerksamkeit. Die dann an anderen Stellen fehlt. Vielleicht genieße ich auch deshalb grad das Verkrochensein in meinem Zimmer, die Sonne im Rücken. Ich habe heute genug Aussichten gehabt. Jetzt brauche ich eher die Sicht nach innen und zu Gott.

Auf einer Reise muss man sich auch erst mal finden, herausfinden was man wirklich braucht und was nicht, was zu viel ist und was zu wenig. Für heute habe ich genug Berge. Ich freu mich auf Schreibzeit nachher. Und auf eine Pizza!


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


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