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Ruhe hineinlassen

Heute Morgen war ich um sechs wach. Und habe festgestellt, dass mein Zimmer genau Richtung Osten geht. Ganz sanft begann der Himmel sich in Streifen rosa zu färben. Und ich saß einfach nur im Bett und hab zugeschaut. Und ab und zu ein Foto gemacht. Die Maurerberghütte liegt so hoch, dass ich heute Morgen über den Wolken bin. Wie Watte decken sie das Tal zu, nehmen bereitwillig die Farben auf, die die Sonne ihnen gibt. Es ist eine Schönheit, die kaum in Foto oder Worten festzuhalten ist. Ganz schlicht, unaufdringlich und doch eindringlich. Ich muss später beim Frühstück über die Dame lächeln, die erst jetzt aus dem Fenster zu sehen scheint und sofort ihr Handy schnappt und nach draußen rennt. Ich sage ihr nicht, was sie verpasst hat, denn inzwischen ist die Morgenfärbung verflogen.

Als ich loslaufe, hängen die Grashalme noch voller Tau. Die Tropfen glänzen in der Morgensonne. Ansonsten ist es ruhig. Noch ist keiner groß unterwegs. Stille. Ich genieße sie.

Ich habe mich entschieden, die Peitlerscharte zu umgehen. Mir ist heute eher nach gemütlichem Anstieg und ich weiß, es gibt einen schönen Weg rund um den Kofel. Also nutze ich ihn. Das bedeutet zwar fünf Kilometer mehr, aber die Wetterprognose ist gut und ich habe Zeit, denn die Schlüterhütte ist nicht weit. Außerdem kenne ich den Weg. Wir sind ihn damals in unserem Urlaub gelaufen und ich merke, heute tut mir ein vertrauter Weg gut.

Wenn man immer neue Wege geht, und genau das tue ich seit genau zwei Wochen, schätzt man das Vertraute vielleicht besonders. Mir geht es so. Immer Neues ist auch anstrengend. Eigentlich bin ich gar nicht der Typ dafür; umso erstaunlicher, dass es bis jetzt so ging.

Ich gehe heute sehr bewusst, langsam, genieße und frage mich, warum es mir heute gelingt und warum ich die letzten Tage gefühlt so gerannt bin. Klar, die Etappen waren wesentlich länger und es waren mehr Höhenmeter. Irgendwann will man ja ankommen, da sein, die Wäsche noch waschen, ausruhen … Ich merke, dass mir das Tempo am Ende vielleicht doch zu hoch war. Obwohl ich nur zu Fuß unterwegs bin! Das überrascht mich, denn ich dachte immer, Laufen sei mein Tempo. Radfahren ist mir oft zu schnell, aber dass mir Laufen zu schnell ist. Ich muss vielleicht langsamer gehen, gemütlichere Wege, meinen falschen Ehrgeiz hinter mir lassen, auch mit sechs Stunden Laufen zufrieden sein. Ich habe es doch bis hierher geschafft. Ich muss mir nichts mehr beweisen. Aber ich versuche es wohl noch.

Kleine Schritte, meine Wege. Egal was andere denken und sagen. Das brauch ich grad. Mich nicht antreiben und von Hütte zu Hütte jagen. Vielleicht war auch diese Phase wichtig. Und bei der Strecke der letzten Woche ging es zum Teil auch nicht anders. Aber jetzt liegen noch drei Wochen vor mir. Und ich wünsche mir, dass es gute Wochen werden. Wochen, in denen ich laufe, aber in denen meine Blicke eben nicht nur auf meine Füße gerichtet sind, sondern in denen auch Kopf und Herz ihren Platz haben dürfen.

Ich sitze grad am Fuß des Peitlerkofels, mache Pause, hänge meinen Gedanken nach. Vielleicht darf es so weitergehen. Vielleicht ist es heute und die nächsten Tage meine Aufgabe, mehr Ruhe hineinzulassen in mein Wandern. So richtig weiß ich noch nicht, wie ich das machen soll. Ich will schließlich am Comer See ankommen. Andererseits ist der noch weit weg, kaum in meinen Gedanken. Noch ist es unwirklich. In Gedanken mache ich heute einfach nur eine gemütliche Tagestour. Und morgen ist morgen.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


Ein Gedanke zu „Ruhe hineinlassen“

  1. Hey Stephanie!
    Ich habe gerade deine komplette Tour bis heute in einem Rutsch gelesen. Hach… in Gedanken sehe ich dich heute morgen schmunzelnd beim Frühstück, Tautropfen entdeckend, Murmeltierlöcher passierend (denkst du noch an unseren Witz?!). Aber ich sehe dich auch schwitzend und grübelnd und müde, Powerfutter kauend…
    Schön, dass du uns so viele ehrliche Einblicke schenkst! Danke!
    Alles Gute für den morgigen Weg!
    Wir denken an dich!
    Deine 4 von der Alb

Danke für deinen Kommentar.

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