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Ruheaktivitäten

Donnerstag. Heute ist dann wirklich Ruhetag. Ich habe lange hin und her überlegt, alle möglichen Wetter-Apps bemüht, aus dem Fenster gegrübelt. Für den Nachmittag ist das Wetter nicht schlecht angesagt, aber ein halber Tag ist mir für die Tour zu knapp. Früh regnet und gewittert es noch, wie sehr der Himmel am Ende wirklich aufzieht, ich weiß es nicht. Und auf 2500 Metern ist es wieder anders.

Also gehe ich nach dem wirklich guten Frühstück – so lecker, mit Bircher Müsli! – zur Rezeption und mache die nächste Nacht fest. Ein bisschen unwohl ist mir dabei schon, denn ich weiß nicht, ob ich den Sonderpreis der letzten Nacht noch einmal bekommen werde. Gestern Abend noch hat das Zimmer bei Booking über hundert Euro gekostet. Gestern Mittag konnte ich es für sechzig buchen. Ein echtes Geschenk … Was es mir leichter macht: die Dame an der Rezeption ist etwa in meinem Alter und ein Herzensmensch. Sie war gestern schon so mitfühlend, als sie hörte, wo ich herkomme und wo ich hinwill und leidet jetzt fast mit, dass ich einen Ruhetag einlegen muss. Sie meint, sie hätte schon an mich gedacht. Irgendwie verstehen wir uns und ich bin erleichtert, als sie mir auf meine Frage nach dem Preis lächelnd zu verstehen gibt, sie würde einfach den Preis der vorigen Nacht noch mal nehmen. Ich bin mir fast sicher, dass das nicht üblich ist. Auf der Homepage stehen andere Preise. Aber ich bin dankbar. So gehe ich leichter in den Ruhetag.

Zum Nichtstun fehlt mir heute dennoch die Ruhe. Das Zimmer ist schön und das Bett herrlich weich, aber ich schnappe mir dann doch irgendwann Rucksack und Regenklamotten und laufe sechs Kilometer südlich zu einem See. Hinzu rechnet mir meine App einen netten Höhenweg aus, die Höhenmeter unterschätze ich mal wieder, zurückzu will ich durchs Tal laufen. Und meine Füße mögen es irgendwie auch, nicht untätig rumzusitzen. Unterwegs werde ich wie erwartet nass, aber am See ist es dann trocken und ich halte in die Sonne, was ich kann. Sobald sie durchkommt, wärmt sie mit einer erstaunlichen Kraft.

Der Rückweg durchs Tal ist sehr viel schöner als gedacht. Es gibt immer wieder kleine Wege durch Wiesen und am Fluss entlang und ich muss nur selten auf der Straße laufen. Ab und zu rauscht der rote Bernina-Express vorbei, eine der berühmten Bahnlinien in der Schweiz, die hier im Tal startet. Der Berninapass ist gar nicht weit von hier. Von dort muss die Aussicht auf die Berge und Gletscher grandios sein. Ich hoffe, dass ich vielleicht morgen mehr sehe, wenn ich wieder aufsteige.

Am Nachmittag organisiere ich ein bisschen, frage Hütten für die nächsten Tage an, gehe noch mal meine Bilder durch, wasche einige Wäschestücke. Zum Glück gibt der Kleiderschrank genug Bügel her, dass alles baumeln kann. Ich werde aber auch zunehmend erfinderisch. Was behängt werden kann, wird behängt und gewendet sowieso ab und zu. Die Funktionswäsche wird immer schnell trocken, Socken dauern am längsten. An warmen Tagen ist das eher kein Problem; da kann ich Sachen außen an den Rucksack binden. Besser und vor allem leichter ist es aber, wenn alles morgens trocken ist. Das ist die Theorie. In der Praxis habe ich wohl mittlerweile den „Weitwandererduft“. Ich kann ja nie alles waschen. Hier draußen ist es einfach so, nur die Heimfahrt mit dem ICE wird hoffentlich so, dass ich keinen Sitznachbarn habe …

Abends mache ich noch einen kurzen Rundgang durch die Stadt. Sie ist schön anzusehen, malerisch liegen die engen Gassen beieinander. Immer wieder sieht man Kirchtürme und die Fassaden sind farbenfroh, aber pastellig-zurückhaltend. Dazwischen Blumen als Farbtupfer. Die Stadt hat Geschichte, das sieht man ihr an. Auch ist sie so klein, dass man immer wieder gegrüßt wird, sich zunickt. „Bon giorno“ ist mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Aber es ist bunt hier. Manchmal werden mir auch Worte entgegengegrüßt, die ich nicht zuordnen kann. Ein echtes Lächeln und Nicken versteht aber jeder.

Ab morgen wird das „bon giorno“ oder „ciao“ wieder die Regel werden. Manche, vor allem Ältere, grüßen auch mit „salve“. Der Gruß ist, so scheint mir, tiefer. Selten ist er leicht dahin gesagt. Mein Übersetzer gibt es einfach als „hallo“ wieder. Als Theologin schwingt für mich aber doch mehr mit.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


Ein Gedanke zu „Ruheaktivitäten“

  1. Poschiavo – Stell dir vor, du hättest „vor lauter Wandern“ dieses hübsche Örtchen nicht gesehen… klar, das Leben geht weiter, auch wenn man nicht alles ausschöpft, was sich so ringsum bietet… -hast du ja beim Vorbeiwandern an diversen Seen selbst festgestellt – aber dennoch hat dir der schöne Ort sicher gut getan…
    Liebe Grüße von der Alb, deine „4 B‘s“

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