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Runterkommen

Zwei Ruhetage habe ich – Donnerstag und Freitag – und ich merke mal wieder, ich muss das mit der Ruhe lernen. Vielleicht braucht es auch einfach ein bisschen, bis man anhält. Gerade, wenn man zuvor so zügig und lang unterwegs war wie ich. Auch bei einer Vollbremsung steht man nicht gleich. In gewissem Sinn versuche ich aber, eine einzulegen.

Meine Ankunft am Mittwoch war gut. Befreiend. Einfach nur da sein und wissen, dass ich dableiben kann. Nicht nur morgen, auch übermorgen. Mein Zimmerreich haben. Nichts müssen. Relativ schnell habe ich bemerkt, dass mein Plan zum Rifugio San Jorio vom Hotel aus genau den richtigen Startpunkt hat. Also habe ich gleich am Mittwoch noch gefragt, ob ich eine Nacht länger bleiben kann.

Romano, der Hotelbesitzer, hat kurz überlegt und nein und ja gesagt. Weil die Zimmer alle ausgebucht sind. Aber er hat hier auch ein Zimmer sozusagen als Rückzugsort, und da könnte ich … Er zeigt es mir auch gleich. Es hat keinen Balkon und ist eher spartanisch und improvisiert eingerichtet. Aber das ist mir egal, Hauptsache, ich muss nicht noch eine Unterkunft suchen. Fast entschuldigt er sich, dass das Zimmer nicht schöner ist. Er kann vermutlich kaum nachvollziehen, was er mir damit für eine Freude macht. Und er will nur zwanzig Euro dafür!

Ich staune mal wieder. Gott legt mir immer genau das Richtige in die Hände und ich darf einfach nur nehmen. Auch bin ich beschämt darüber, wie zuvorkommend ich behandelt werde, wie viel mir ermöglicht wird. Ob mir das in Deutschland auch so passiert wäre? Jetzt habe ich also drei Nächte hier, eine im Rifugio und eine im Hostel in Bellinzona. Alles ist geklärt! Das fühlt sich wirklich gut an!

Am Donnerstag will ich eigentlich gechillt machen. Das Frühstück tut gut und ist reichhaltig. Die Pfirsiche sind saftig und lecker, Melone steht auf dem Buffet, Baguettes und Croissants sowieso und vieles mehr. Ich haue ordentlich rein, genieße, schlemme – und esse am Ende viel zu viel. Die letzten Wochen waren sehr viel karger; jetzt muss ich erst mal ein Maß finden. Nach dem Frühstück lege ich mich also wieder ins Bett. Mit so einem vollen Bauch komme ich nicht mal den Berg runter. Denn das habe ich heute vor: Ein bisschen zum See runtergehen, schwimmen, zu mir kommen. Vielleicht ein paar Leuten schreiben. Mir in jedem Fall was Gutes zu essen machen.

Am Ende wird es doch ein vollerer Tag, denn ich muss ja erst mal zum See absteigen, dann gibt es nicht die tolle Badestelle, die ich im Kopf hatte und es ist einfach nur heiß. Also gehe ich zwar schwimmen und genieße es durchaus, merke aber, dass ich nicht zu viel Zeit hier unten verbringen und lieber zum Hotel zurück will. Vorher muss ich aber noch einkaufen für die nächsten Tage, denn ich weiß jetzt: Morgen will ich wirklich Ruhe machen und nirgendwo rauf oder runter.

Nach dem Einkauf trete ich also direkt den Heimweg an und stapfe ambitioniert gen Berg. Das Mittagessen habe ich auch gekauft; das werde ich unterwegs verspeisen. Ich habe da noch die schöne Stelle unterm Walnussbaum mit Seeblick im Kopf, bei der ich heute Morgen vorbeigekommen bin. Bis dahin schwitze ich allerdings eine volle Stunde und lasse mich dann wirklich fix und fertig unter den Walnussbaum plumpsen.

Es ist vielleicht der erste wirklich ruhige Moment an diesem Tag. Ich bin bald oben, habe nichts mehr vor, sitze einfach da im Schatten, habe zu essen, muss nichts, aber kann alles. Und den Comer See sehe ich auch richtig schön. Ankommen. Loslassen. Warum ist das so schwer? Jetzt gelingt es auf einmal und ich spüre, wie die Ruhe in mir einziehen kann. Bisher hatte sie nicht viel Chance. Aber Runterfahren dauert einfach.

Ich esse meinen Salat und mein Stück Pizza, ich habe Schatten und Ruhe – alles ist gut. Vielleicht war mir unten auch zu viel Trubel. Ich spüre, das Grün rettet mich gerade. Im Trubel runterzufahren, gelingt mir nur schwer. Deshalb freue ich mich auch auf mein Zimmer. Vier Wände, die mich begrenzen, abschirmen. Weniger ist mehr. Ich könnte auch draußen am Hotel auf der Terrasse sitzen. Aber auch das wäre mir grad zu viel.

Also verkrieche ich mich zufrieden in mein Zimmer, nachdem ich die letzten Meter noch hochgestapft bin. Die Dusche folgt wie immer. Und abends bin ich noch lang am Schreiben und Gedankensortieren. Ich merke, bis jetzt schiebe ich ein Nachdenken über meinen Weg noch weg, habe gerade keine Lust zu denken. Oder will noch nicht ans Danach denken? Das hier noch nicht abschließen? Denn genau das passiert ja gerade. Mein Weg endet hier oder spätestens in Bellinzona. Und dann … Ja, ich freue mich auf zu Hause. Aber es ist auch noch so weit weg. Und noch bin ich hier. Was ist jetzt dran? Morgen in jedem Fall ein echter Ruhetag. Meine Füße schreien danach.

Den Freitagmorgen verbringe ich bis neun im Bett – wann habe ich das das letzte Mal gemacht? – und gehe dann gemütlich zum Frühstück. Heute finde ich auch Maß und höre rechtzeitig auf zu essen. Und dann … dann mache ich Zimmertag. Einfach nur rumlümmeln, lesen, schreiben. Gegen elf ziehe ich um ins Zimmer von Romano, was sogar einen Schreibtisch hat. Es fühlt sich fast an wie ein Upgrade. Und dann nehme ich mir Zeit für meine Gedanken. Ich lese noch mal alle Beiträge, die ich die letzten Wochen geschrieben habe und das, was in meinem Papierbuch gelandet ist. Ich lese, bin noch mal unterwegs mit mir und mittendrin, staune, wieviel ich erlebt habe, erinnere mich, leide noch mal mit, denke an all die Begegnungen und Momente, die Zweifel, das Heimweh, die Enttäuschung, die Freude.

Da ist so viel gewesen. Dabei waren es nur fünf Wochen! Und ich merke, ich kann das gar nicht in einem Satz oder Beitrag zusammenfassen. Auch wenn ich es gern in fünf Punkten hier niederschreiben würde. Ich versuche wirklich, es in Punkten zusammenzufassen. Es werden mehr als 50 …

Aber ich merke, es tut mir gut, noch mal alles anzugucken, zu sammeln, zu sichten, zu sortieren. Und ich bin froh, dass ich nicht mittendrin heimgefahren bin, auch wenn ich manchmal kurz davor war. Die letzten zwei Wochen waren einfach noch mal ganz anders. Ich war allein, ich war wirklich in Italien (und bin zurechtgekommen!), habe so viele freundliche Menschen getroffen, bin durch tolle Orte gekommen, habe wunderschöne und einsame Landschaften gesehen … Die Kombination meiner Tour war ein echtes Geschenk und auch der Comer See ein gutes Ziel.

Mir schwirrt vieles durch den Kopf. Aber ich bin dankbar, werde sehr beschenkt zurückkehren.

Ich bin gespannt, wie es mir die nächsten zwei Tage in den Bergen gehen wird. Es sind noch mal 1800 Höhenmeter, aber irgendwie finde ich es auch schön, mich wandernd von hier zu verabschieden. So wie ich gekommen bin. Nicht einfach per Zug abzudüsen, sondern aufzusteigen und das alles hier ganz bewusst hinter mir zu lassen, wenn ich absteige nach Bellinzona und über den letzten Pass drüber bin. Und ja, dann steige ich in den Zug. Und finde vermutlich trotzdem, dass ich viel zu schnell wieder zu Hause bin.

Fortsetzung folgt …


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Runterkommen“

  1. Liebe Steffi,
    gerade hab ich Deinen letzten Bericht gelesen…..Du hast soviel erlebt….ich bewundere Deinen Mut, 5 Wochen unterwegs zu sein und alles allein zu organisieren. Das, was Du schreibst von der Geborgenheit in Deinem Zimmer, vom Schutz der 4 Wände, hat mich erinnert an einen Aufenthalt im Winter in Österreich….Ich wollte nicht mit Skifahren und hatte einen Tag für mich allein, hab nur den Schneeflocken zugeschaut und das Alleinsein genossen….Heute sind wir mit Freunden auf der Schwäbischen Alb und wollen wandern, aber es regnet und regnet….
    Komm gut und beschützt nach Hause, liebe Steffi mit ruhigem Herzen und geborgen in Gottes Händen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns dann wieder mal treffen…
    Alles Liebe, Elke

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