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Seiser Alm

Donnerstagmorgen. Die Plattkofelhütte ist mit ihren 75 Euro Übernachtung und Halbpension fast Luxusklasse. Ich schlucke bei dem Preis, aber sie liegt für mich einfach perfekt. Also gönne ich sie mir. Auch sie ist neu und saniert, erinnert mich in Vielem an die Boehütte von gestern. Zwei Dinge sind aber auffällig. Das Klientel hier sind eher Wanderer, die auch unterwegs auf nichts verzichten wollen und die hier mehrere Tage verbringen. Entsprechend war gestern Abend auch lange nach Hüttenruhe noch keine Ruhe. Das hat bisher meist erstaunlich geklappt. Das Zweite, was sich deutlich abhebt, und ich genieße es: Das Drei-Gang-Menü. Plus fettes Salatbuffet!

Während auf anderen Hütten das Essen durchaus ausreichend und zweckmäßig ist, wird hier getafelt. Vorspeise Kräuterreis, dann ein wirklich großer Teller mit Salaten aller Art, den ich mir nehme, als Hauptgang Spinatknödel und als Dessert eine große Schüssel voll leckerer Vanillecreme. Mit Obst! Allein die Kiwistücke und die Pfirsichspalte darauf, lecker!

Mein Fazit: Das Geld hat sich gelohnt. Auch die Nacht war super. Dieses Mal ein Achterzimmer mit vier Stockbetten, sogar Bettwäsche statt Hüttenschlafsack!, und ich habe sogar noch das Nachbarbett für mich und damit mein eigenes „Abteil“. Trotzdem, meine Kasse freut sich, wenn die nächste Nacht wieder günstiger wird. Im Schnitt sind es bisher meist 50 Euro plus Getränke. Auf Alpenvereinshütten komme ich auch durch meine Mitgliedschsft günstiger weg.

Die nächste Nacht hängt noch, denn ich muss nachher nach dem Wetter schauen. Der Plan für die nächsten Tage ist es, in Prad am Stilfser Joch anzukommen. Von dort startet Teil zwei meiner Reise. Von Bozen über Meran bis Prad werde ich per Bahn fahren. Laut Plan wollte ich am Sonntag dann loswandern, aber für die erste Etappe brauche ich gutes Wetter. Im Moment sieht es eher danach aus, dass ich erst Montag loswandere, also noch einen Tag länger hier habe. Die Frage ist also, ob ich heute Richtung Seiser Alm gehe oder noch den Schlern mitnehme und im Schlernhaus oder der Schlernbödelehütte übernachte. Ich weiß allerdings nicht, ob dort heute noch etwas frei ist. Und ob das Wetter hier die nächsten Tage hält. Das werde ich nach dem Frühstück erst mal checken. Im Moment liege ich nämlich noch im Bett. Es ist zu gemütlich, aber gleich um sieben. Etliche sind schon aufgestanden, haben mit ihren Tüten herumgeraschelt. Jetzt ist Platz für mich … Meine Wäsche ist über Nacht gut getrocknet, also kann es losgehen! Wohin auch immer …

Nach dem Frühstück zeigt die Wetterapp, dass es am Sonntag jetzt doch gutes Wetter gibt. Ich beschließe, bei meinem Ursprungsplan zu bleiben und direkt zur Seiser Alm zu laufen. Heute wird es damit fast nur bergab gehen, aber zwanzig Kilometer sind es auch wieder.

Ich laufe gemütlich los. An der ersten Gabelung entscheide ich mich für einen Umweg. Der andere Weg sieht zu schön aus. So kann ich noch ein Stück Pfad am Langkofel laufen, das Panorama genießen. Der Weg ist ideal: nicht anspruchsvoll, schmal und schön, Aussicht und kein Mensch unterwegs. Nur Kühe, Pferde, Murmeltiere. So mag ich es. Vor allem am Morgen.

Ich hänge meinen Gedanken nach, genieße. Der Weg ist die richtige Entscheidung. Er verläuft sanft abfallend am Hang entlang. Die Morgensonne wird es auch gleich über den Langkofel schaffen. Solche Wege laufe ich mit Leichtigkeit. Wenn doch alle Wege so wären …

Als ich an der Stelle bin, an der ich links abbiegen muss, um zurück auf meine Route zu kommen, gibt es da keinen Weg mehr. Da das Gelände gängig ist und vor allem Wald und Wiese, entscheide ich mich für querfeldein und versuche, mich per GPS den alten Weg zu lotsen. Es klappt. Am Ende habe ich nur gefühlt den ganzen Tau mit meinen Füßen eingesammelt, aber meine Schuhe halten dicht. Auch haben mich sämtliche Kühe beäugt, weil wohl schon lange kein normaler Wanderer mehr bei ihnen vorbeigekommen ist. Aber sie gucken nur neugierig und fressen unbeeindruckt weiter, als sie merken, dass ich nichts von ihnen will.

Mein Weg führt mich heute quer durch die Seiser Alm. Auf dem ersten Teil der Strecke ist die Aussicht großartig, denn ich sehe rundum die Felsformationen, am Fuß immer im Grün der Almen endend. Auch kann ich weit nach Norden sehen, das Rittner Horn, die Texelgruppe. Mittlerweile begegnen mir auch wieder zu viele Leute, Busse kippen ihre Ladungen aus, immer wieder Hoteldörfer. Dass die Landschaft so vermarktet wird, ist nachvollziehbar.

Später wird mein Weg wieder ruhiger, aber auch zäher. Ich laufe falsch, muss umkehren, die Wege sind schlecht oder steil. Ich merke, ich habe schon Kilometer auf den Knochen. Meiner Lust auf Schokolade kann ich leider nicht nachkommen, denn ich hab keine mehr. Ich muss mir dringend Nachschub an Energiefutter kaufen. Morgen! Denn hier finde ich keine normalen Supermärkte oder Shops. Nur Hotels und Sport- und Souvenirgeschäfte. Seufz.

Die letzte Stunde führt mein Weg durch superschönen Wald. Ich laufe weich auf Tannenadeln, der Weg ist bequem und immer bergab – und einsam! Trotzdem zieht er sich am Ende und meine Füße sehnen sich nach Pause. Vielleicht war der Umweg von heute Morgen doch nicht so schlau? Jedenfalls feiere ich innerlich ein Fest, als ich endlich an der Rezeption des Campingplatzes Seiser Alm in Völs stehe.

Der Platz ist größer und moderner als der in Colfosco. Aber auch hier fühle ich mich sofort wohl. Nach einem ersten Rundgang mit Karte weiß ich, was wo ist. Nach den Sanitäranlagen suche ich eine Weile, weil sie unterirdisch sind. Sogar ein kleines Schwimmbecken hat es. Und einen gescheiten Shop! Ich kaufe erst mal Essen für die nächsten Tage und Schokolade. Die futter ich gleich auf. Ich brauche es einfach.

Am Nachmittag beschließe ich, hier zwei Nächte zu bleiben und morgen einen Ruhetag einzulegen. Einfach mal nicht früh losmüssen, nicht wandern, meine Klamotten waschen, rumsitzen, genießen, für mich sein, keinem Hüttenrhythmus folgen. Ich merke, ich freue mich drauf. Bisher bin ich jeden Tag gewandert. Zwar manchmal auch halbe Tage. Aber einen echten freien Tag hatte ich noch nicht. Morgen!


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Seiser Alm“

  1. Liebe Steffi,

    danke für‘s Mitnehmen auf deine spannende Tour!
    Ich staune und stolpere in Gedanken mit dir.
    Ich wünsch dir weiter viele schöne Erlebnisse und freu mich auf deine Berichte!
    Einen lieben Gruß von
    Claudia

Danke für deinen Kommentar.

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