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Ameisenrauschen

Im Wald hört man vieles. Und man überhört vieles. Wann hast du das letzte Mal Wald gehört? Gedanken über ein außergewöhnliches Hörerlebnis.

Wie hört sich eine Waldameise an?

Vergangene Woche. Mein Mann und ich sitzen im Wald auf einer Bank im Allgäu. Wir genießen den Platz im Halbschatten. Auf einer kleinen Wiese gegenüber blühen die Schlüsselblumen, hinter uns steht lichter Nadelwald, dessen Boden bald vom Heidelbeerkraut bedeckt sein wird.

Wir sitzen. Sind allein. Genießen die Ruhe. Irgendwann nehme ich ein Rauschen-Rascheln hinter mir wahr. Es ist ein monotones und doch dynamisches Geräusch, das ich nicht kenne. Amseln und Mäuse am Waldboden klingen anders, ein größeres Tier kann es nicht sein. Was ist es?

Ich drehe mich um, höre in den Wald hinein und stelle fest, es kommt vom Boden. Mein Blick sucht und bald habe ich die Geräuscheverursacher ausgemacht: Waldameisen! Und das Rauschen-Rascheln kommt daher, dass sie emsig übers Herbstlaub laufen, das hier noch den Waldboden bedeckt.

Was höre ich?

Hast du schon einmal eine Ameise gehört? Für mich war es das erste Mal. Und trotzdem war es bestimmt nicht das erste Mal. Die anderen Male habe ich die Ameisen einfach nicht gehört. Weil da so viele andere Geräusche waren. Vielleicht auch nur in meinem Kopf.

Das Runterkommen und Hören im Urlaub tat gut. Jetzt ist wieder Alltag und ich merke, wie viele Geräusche, Stimmen, Gedanken schon wieder durch meinen Kopf rauschen. Inklusive all der Erwartungen, die der Alltag an mich stellt. Das erschwert das Hören.

Und Gott, wann habe ich ihn das letzte Mal gehört? Mir fällt auf, dass ich ihn schwerer höre, wenn ich im Gewusel bin, mein Kopf nicht abschalten kann.

Was treibt mich an?

Die letzten Monate habe ich mir viele Gedanken gemacht, viel gelesen und recherchiert. Ich bin bei der Recherche nach Krebstherapien vom Hundertsten ins Tausendste gekommen – und noch immer mittendrin, wenn auch weiter. Ich merke: Ich bin zuversichtlich, ich habe aber auch Angst.

Neulich habe ich mich gefragt, ob all meine Recherchen angstgesteuert sind. Ja, ich will mich absichern. Ich will kein Rezidiv. Wenn bestimmte Nähr- und Mineralstoffe eine Rolle spielen, will ich diese für mich nutzen. Wenn Sport hilft, mache ich Sport. Wenn …

Der Krebs stresst mich – und Stress wiederum kann Krebs verursachen. Und das stresst mich dann noch mehr. Ein Teufelskreis. Und dann dieser Ameisenaugenblick im Urlaub. Ein Geräusch, das mich in eine ganz andere Welt entführt. Und staunen lässt.

Wie viel Ruhe darf’s sein?

Ruhe. Wenn ich Ruhe habe, höre ich Ameisen. Dann habe ich Zeit, mich zu diesen kleinen Wesen umzudrehen und ihnen zuzusehen. Wie geschickt sie mit ihren sechs Beinen über das alte Laub flitzen! Wie zielgerichtet sie laufen! Wie sie sich gegenseitig helfen!

Und mit Gott geht es mir auch so. Wenn ich ruhig bin, wirklich ruhig, bin ich viel empfänglicher für seine Notizzettel in meinem Leben. Wenn ich nur geschäftig herumwusele, flattern sie weg.

Leben ist quirlig. Und das ist gut so. Ich liebe das ja auch! Und doch braucht auch die Ruhe ihren Platz. Die Ameisen haben mich daran erinnert, was ich alles hören kann, wenn ich in der Ruhe lebe.

Foto: Willfried Wende


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Ich bin Stephanie

und ich liebe es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken. Ins Vertrauen bin ich staunend und stolpernd unterwegs … Mehr über mich findest du hier.