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Ich stelle mich taub

„Ich stelle mich taub“, schreibt David in Psalm 38,15. Und ich stelle ihn mir vor, wie er dasteht, die Hände dicht an die Ohren gepresst wie ein kleiner Junge. Nur nicht hinhören! Sollen sie doch reden!

Der Text berührt mich, weil er mich gerade trifft. David stellt sich hier taub für all das, was seine Feinde ihm ins Gesicht sagen oder auch hinter seinem Rücken. Er stellt sich taub für all das, was Sie Übles gegen ihn planen. Und was er gerade nicht gebrauchen kann.

Auf Durchzug zu stellen, ist nicht immer ratsam, in manchen Momenten jedoch schon. Sich einfach mal abschotten und die Stimmen abstellen, die einen verrückt machen. Äußere Stimmen und innere. So leicht, wie es hier bei David klingt, ist es aber nicht. Auch für David nicht, den Auserwählten.

Du hörst mein Seufzen

Wenn man den ganzen Psalm liest, merkt man schnell: David leidet wie ein Hund. Es geht ihm nicht gut. Er redet von Wunden, Schmerzen, Eiter, Fieber, Erschöpfung, von Qualen, Stöhnen und Schreien. Kurz, ihm ist alles zu viel. Und natürlich ist da auch die Frage nach Gott.

Und doch gibt es in diesem Psalm auch immer wieder Lichtblicke. Lichtverse. Vers 10 zum Beispiel. Da schreibt er: „Herr, du weißt, wonach ich mich sehne, du hörst mein Seufzen.“ (NLB) Ja, ich seufze, aber ich weiß, dass du mich hörst. Und das tut gut.

Oder Vers 16. Vorher redet David davon, dass er sich taub stellt, das Wüten seiner Feinde nicht an sich heranlässt. Und direkt danach: „Aber ich harre, HERR, auf dich; du, Herr, mein Gott, wirst antworten.“ (LUT) Herr, ich will nicht hören, was die anderen Übles über mich reden und Übles planen. Ich will es nicht hören! Aber ich will auf dich hören. Auf dich warten. Du wirst mir antworten.

Was ist normal?

In meinem Leben gibt es viele Stimmen, außen und innen. Ich wünschte, es wäre so einfach, wie David schreibt: „Ich stelle mich taub.“ Zugleich weiß ich, für ihn war es auch nicht einfach. Aber wie kann man sich taub stellen für das, was einen sonst verrückt macht?

Im Moment habe ich das Bedürfnis nach Stummschaltung. Ich will viel, schaffe viel. Zugleich spüre ich, es ist zu viel. Und so sehr ich mir auch vormachen will, dass ja jetzt alles wieder normal ist, muss ich mir doch eingestehen: Nein, das ist es nicht.

OP und Bestrahlung sind erfolgreich vorbei. Offiziell sind alle Krebszellen gekillt, so zumindest die Schulmedizin. Trotzdem werfe ich mir jetzt erst einmal bis auf Weiteres jeden Tag eine kleine weiße Pille ein, die neues Krebswachstum unterbinden soll, und recherchiere immer noch wie wild nach Alternativen. – Es ist nicht normal. Nichts. Ich muss aufhören, mir das vorzumachen.

Ich bin nicht stark

Heute Morgen habe ich die Arbeit liegengelassen und bin in den Wald gegangen. Ich bin nicht weit gekommen. Nach zehn Minuten stand ich an dem riesigen Baumstamm einer Esche, die vor zwei Jahren der Sturm umgeworfen hat. Seitdem liegt der mächtige Stamm am Boden.

Ich denke: „Die Esche hat es auch nicht geschafft, dem Sturm zu trotzen.“ Der Gedanke trifft mich. Wie sehr versuche ich, zu trotzen, zu kontrollieren, alles für meine Gesundheit zu tun, wieder zu funktionieren, alles an Infos über den Krebs heranzuschaffen – stark zu sein! Ich bin es aber nicht.

Ich kann in diesem Moment im Wald nicht anders, als mich zu diesem Stamm zu hocken und an ihn anzulehnen wie an einen Seelenverwandten. Zwei, die es nicht geschafft haben. So traurig dieser Gedanke ist, so tröstlich und skurril ist dieses Miteinander auf der anderen Seite auch.

Denn wir sind ja noch da! Das Leben wird weitergehen, muss nur anders weitergehen. Vielleicht wird die Esche irgendwann zu einer schönen Schlafzimmerkommode. Und ich? Auch ich werde wieder aufstehen, ich merke nur, dass ich gerade einen Gang zurückschalten, mich neu orientieren muss.

Auf das Wichtige hören

Ich muss für eine Weile auf „taub“ stellen. Für mich sorgen. Nur das „durchlassen“, was mir hilft. Nicht mehr Termine in meinen Kalender schreiben, sondern weniger. Und wie David auf Gott warten. Er hört ja mein Seufzen, weiß, wonach ich mich sehne und was ich brauche.

Lange habe ich überlegt, ob ich eine Blogpause mache. Streiche ich damit das Richtige oder kappe ich damit einen Segensraum? Auch ich bin ja durch das Schreiben hier gesegnet. Und doch spüre ich, dass das Schreiben in den letzten Wochen und Monaten mühsam geworden ist.

Im Juli darf ich zur Reha in den Schwarzwald fahren, danach noch in den Sommerurlaub. Bis dahin möchte ich mir eine Blogpause gönnen. Auf das hören, was wichtig ist. Und beim Rest versuchen, mich taub zu stellen.

Übrigens, Psalm 38 endet mit einem zuversichtlichen Bekenntnis. David sagt: „Herr, meine Hilfe!“ (LUT) und „Herr, du mein Retter!“ (NLB). So sehr es bei ihm auch auf und ab ging, dahin findet er zurück. Dass es nicht auf ihn, David, ankommt, sondern dass Gott sein Retter ist und seine Hilfe.

Ganz sicher werde ich hier nach dem Sommer weiterschreiben und dich weiter mitnehmen bei meinem Staunen und Stolpern. Bis dahin wünsche ich dir eine gesegnete Zeit. Danke für dein Verständnis und für dein treues Mit-mir-Unterwegssein in den letzten Monaten und Jahren! Bis bald.


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Ich bin Stephanie

und ich liebe es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken. Ins Vertrauen bin ich staunend und stolpernd unterwegs … Mehr über mich findest du hier.