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Turbowachstum

Turbowachstum ist ungesund. Wachstum geht nicht schnell und Ungeduld hilft nicht. Warum es gut ist, dass Wachstum Zeit braucht und alles seine Zeit hat.

Faszination Turbo

Das Tempo, das mein Narzissenstrauß vorlegt, ist erstaunlich. Am Montag erst habe ich ihn gekauft, die Knospen waren noch verschlossen. Als ich am Dienstag früh ins Wohnzimmer kam, steckte an jedem Stängel eine dicke gelbe Blüte. – Wie haben die Narzissen das nur über Nacht hingekriegt?

Wohnzimmertemperaturen von 20 Grad Celsius werfen bei Narzissen vermutlich den Turbo an. Und manchmal wäre ich gern so ein Narzissenmensch, der über Nacht und mit ein bisschen Wärme einfach so blüht und Duft verströmt. Ich dagegen wachse im Schneckentempo und befürchte zuweilen eher, das Blühen und Reifwerden gar nicht zu schaffen. Wie schön wäre es, wenn Wachstum schnell und leicht ginge! Einfach ein Sonnenbad und alles ist paletti.

Der Traum vom schnellen Wachstum ist kein neuer. Wir leben in einer Zeit, in der nichts lange dauern darf. Wo der Mensch kann, hilft er nach. Die meisten Gewächshäuser werden zurzeit tatsächlich geheizt, damit der Salat schneller auf den Teller kann.

Was, wenn Wachstum dauert? Nicht jeder ist schließlich ein Bambus, dem man beim Wachsen zusehen kann.

Das schnelle Wachstum hat auch Nachteile. Meine Narzissen stehen gerade drei Tage in meinem Wohnzimmer und sehen bereits welk aus. Es war ein kurzes Blühen. Natürlich, es sind Schnittblumen, aber so sehr sie mich beim Aufblühen erstaunt haben, so enttäuscht bin ich jetzt, dass ich die Schönheit nur kurz genießen konnte. Ist das der Preis für schnelles Wachstum? Wird eben das auch schneller welk, was schneller wächst?

Alles hat seine Zeit

In der Natur hat alles seine Zeit. Es gibt die Pilze, die aus dem Boden schießen, aber es gibt auch die Eiche, die Jahrhunderte braucht. Ein Hamster hat mit 20 Tagen eine eher kurze Tragzeit, eine Elefantendame muss ganze 22 Monate auf ihren Nachwuchs warten. Es gibt die Eintagsfliege, aber auch den Grönlandwal, der über 400 Jahre alt werden kann. Und es gibt mich. Was ist meine Zeit? Wo muss ich mir meine Zeit nehmen, darf ich mir meine Zeit geben? Ist Turbo vielleicht nie gut?

Rachel Anne Ridge beschreibt in ihrem Buch „Unterwegs mit Henry“, wie ihr Esel ihr neue Blicke aufs Leben schenkt, auch auf das Thema Geduld. Sie zitiert unter anderem Pierre Teilhard de Chardin, der sagt:

„Vor allem vertraue dem langsamen Werk Gottes. Wir sind von Natur aus ungeduldig und wollen ohne Verzögerung ans Ziel gelangen … Versuche nicht zu erzwingen, heute etwas zu sein, was die Zeit morgen aus dir machen wird. Nur Gott allein kann sagen, wie dieser neue Geist, der sich in dir formt, sein wird.“ (S. 247 ff.)

Chardins Aussage macht mich nachdenklich. Sie will mich vor dem Turbo bewahren, mir Mut machen, das Jetzt auszuhalten, so sehr ich das „Dann“ anstrebe. „Versuche nicht zu erzwingen, heute etwas zu sein, was die Zeit aus dir machen wird.“ Was Gott aus dir machen wird.

Gott ist am Werk. Ja, manchmal dreht auch Gott den Turbo auf, aber viel öfter geht er mit dem Takt der Natur. Werden braucht Zeit. Reifen braucht Zeit. Frühgeburten sind nie gut, auch wenn die Medizin Erstaunliches vollbringt.

Reife braucht Zeit

Kann ich warten? Meine Narzissen habe ich eben entsorgt. So erstaunt wie ich am Anfang war, der Nachgeschmack bleibt. So schnell hatte es auch die Natur nicht für Narzissen geplant. Denn wie lange blühen Narzissen, die im Vorgarten werden dürfen und nicht abgeschnitten und in den Wohnzimmerbrutkasten verfrachtet werden!

Oft meine ich, ich müsste schon weiter sein und wie gern würde ich manchmal mein Wachstum beschleunigen. Aber was wäre, wenn es Gott eben nicht um Turbowachstum ginge? Schließlich ist er der Erfinder von „Alles hat seine Zeit“. Und er als Schöpfer weiß doch genau, dass Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht.

Bald ist Frühling. Die Natur steht in den Startlöchern. Es wird nicht mehr lange dauern, bis alles grün ist. Frühling ist Frühling, Winter ist Winter. Alles hat seine Zeit. Ich habe meine.

In Psalm 1 vergleicht der Schreiber Menschen mit Gottvertrauen mit einem Baum. Er schreibt: „Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.“ (Psalm 1,3)

Frucht zu seiner Zeit – Blätter, die nicht verwelken – Gelingen. Ich bin gepflanzt an Gottes Wasserbächen. In seiner Nähe werde ich wachsen und gedeihen, daran besteht kein Zweifel. Und meiner Frage nach dem Schnell-genug und Gut-genug begegnet Gott gerade mit einem sehr verwunderten Blick. Für ihn ist das wohl die falsche Frage.

Foto: pixabay | Jill Wellington


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Turbowachstum“

  1. Schön und bildhaft geschrieben, danke für den Input. Mir geht es oft gleich, aber lerne langsam genau das, was du geschrieben hast: Geduld zu haben, auf Gottes Zeit zu warten. Aber es ist schwierig.
    Du wünschst dir ein Narzissenmensch zu sein? Nun, wenn es nur das ist, wünschte ich mir, dein Wunsch geht in Erfüllung…, aber bitte gib dich dem Narzissmus nicht hin…, was ich eigentlich auch nicht befürchte. Aber der Bezug klingt im Wort. 😉
    Lieber Gruss
    Stefan

    1. Hallo Stefan, danke für deinen Kommentar. Das mit dem Narzissenmensch ist vielleicht nur auf den ersten Blick attraktiv. Es gilt wohl, mein Tempo zu finden und damit zufrieden und genügsam unterwegs zu sein und darauf zu vertrauen, dass Gott alles richtig macht. Liebe Grüße!

Danke für deinen Kommentar.

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