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Ich bin bei ihr

Nach fünf Wochen Alpenüberquerung bin ich noch dabei, zurück in den Alltag zu finden, zurück an den Schreibtisch und zu meinen Routinen, zurück zu Gott. Die letzten fünf Wochen waren so von Laufen, Essen, Schlafen geprägt, dass am Ende gar kein Platz war für glorreiche Erkenntnisse und tiefgehende Reflexionen. Das hatte ich mir anders vorgestellt und es hat mich lange frustriert. Auch diese Woche – „die Woche danach“ – geht mir das immer wieder durch den Kopf: Warum hatte Gott so wenig Raum in diesem Abenteuer, was doch mitten durch seine Schöpfung ging? Näher dran ging doch gar nicht!

Vielleicht vorweg: Es war eine gute Zeit, es waren reiche fünf Wochen. Nur eben ganz anders, als ich gedacht hatte. Ich hatte mir mehr Höhen erhofft und weniger Tiefen, mehr Leichtigkeit und weniger Kampf. Aber in Bergen geht es halt hoch und runter. Die 25.000 Höhenmeter, die ich gestiegen bin, ging es eben auch abwärts, vielleicht nicht nur buchstäblich.

Angenommen, es wäre anders gewesen: Angenommen, Gott wäre mir bei meinem Gehen immer vor Augen gewesen und ich hätte mich mit ihm tief verbunden gefühlt – wäre es gut gewesen? Oder wären die Berge dann zum Geheimrezept meiner Gottesbegegnung mutiert?

So war es eben anders. Vielleicht besser. Und so viel weniger machbar. Im Grunde habe ich nicht viel gemacht. Und trotzdem bin ich als Beschenkte zurückgekehrt. Vielleicht bin ich deshalb auch beschämt, denn ich habe nichts für Gott getan; mir nicht viel Zeit für ihn genommen.

Gott hatte nicht viel von mir. Ich war müde Wanderin mit wenig Nerv für ihn. Aber irgendwie hatte er vielleicht gerade deshalb seine Freude daran, mir über die Berge zu helfen. Für echte Gebetserhörungen habe ich schlicht zu wenig gebetet. Er hat es sich trotzdem nicht nehmen lassen, mir unter die Arme zu greifen und ganz für mich da zu sein.

Meine Reise beende ich demütig. Geistlich gesehen habe ich in den letzten Wochen nicht geglänzt. Vielleicht ist es auch einfach so, wenn die Kraft an anderen Stellen gefragt ist. Aber Gott macht sich wohl nicht abhängig von meiner geistlichen Disziplin und ist nicht einmal mehr angewiesen auf den Raum, den ich ihm gebe. Beharrlich geht er mit und nutzt die Nischen, die sich ihm bieten. Er hätte es nicht tun müssen. Er hätte mich einfach wandern lassen können. Aber er lässt mich nicht einfach so ziehen, er macht mein Projekt zu seinem Projekt: „Ich bin bei ihr. Egal wo sie hingeht. Egal wieviel Kraft sie für mich haben wird. Ich bin bei ihr.“

Vermutlich wusste er sehr viel besser als ich, was auf meinem Weg zwischen Lenggries und dem Comer See auf mich wartet. Er wusste um die Anstrengung, meine inneren und äußeren Kämpfe, meine Erwartungen und Enttäuschungen. Er wusste um meinen Traum. Und wo ich noch auf geistliche Höhenflüge gehofft habe, hat er schon gewusst: Es wird anders. Oder vielleicht auch: Sie braucht etwas anderes?!

Ich habe mich auf den fast 500 Kilometern oft gefragt: Was suche ich eigentlich? Was will ich? Was brauche ich? Und vielleicht ist es auf solch einer Reise oft so, dass man nicht findet, was man sucht und trotzdem beschenkt zurückkehrt. Eben weil man das Wichtige nicht machen kann. Wie leicht wäre es zu sagen: Ich habe gesucht und ich habe gefunden! Und wie schnell hätte man sich auf die Schulter geklopft und wüsste beim nächsten Problem einfach: Ich geh wandern!

Wandern und Laufen ist hilfreich, aber es ist kein Universalrezept. Auch nicht für die Begegnung mit Gott. Nicht mal bei einem Läufer wie mir.

Gott hat mich gesegnet, aber anders. Er hat mich herausgeholt aus meinem Kopf und frommem Denken, ist hineingesprungen in mein Leben und Wandern.

Geschenke

Als ich mich auf meinem Weg zur Kreuzwiesenalm verloren gefühlt habe und wie ein Häufchen Elend im Gras hockte, da setzte er mir eine Heuschrecke auf meinen Schuh. Sie blieb so lange sitzen, bis ich zum Weiterwandern aufstand. Es war Gottes greifbares „Du bist nicht allein“ für mich und ich spüre jetzt noch, wie sehr er mich durch dieses kleine Wesen berührt hat.

Als ich mich an einem Sabbat mal wieder fragte, warum ich das hier eigentlich tue, stand ich plötzlich vor einem wasserreichen Plateau innerhalb eines Hochtals. Überall strömte es mir entgegen, überall Fülle und Leben. Und ich dachte an Psalm 23: So willst du, Gott, mich beschenken! So beschenkst du mich!

Über Booking landete ich an einem Abend in einem alten Tiroler Haus, was ich dann überraschend ganz allein für mich hatte. Ich hatte den Impuls, Musik anzumachen, ging meine christliche Playlist durch – und sang dann einfach nur laut mit. Wie gut tat es! Besonders das „Vater unser“ der Fietz‘ berührte mich an jenem Abend, die gesungene Bitte: „Sprich noch einmal laut und klar: Es werde!“ Es war auch meine Bitte und Sehnsucht.

Überhaupt überraschte mich Gott auf meinem Weg mit Unterkünften. Immer wieder fand ich günstige Angebote und durfte ich Zimmer betreten, die mit Liebe gemacht waren. Und Menschen, die mir mehr gaben, als sie es hätten tun müssen.

Meine Zeltnächte in freier Wildbahn. Ich fand Plätze; Gott schenkte mir Raum in seinem Zelt. Den letzten Abend vor dem Comer See werde ich wohl nie vergessen: mein Lager auf 1800 Metern Höhe mit Blick auf den See in der Ferne und Abendhimmel in so schönen und zarten Farben.

Auch sonst, das Wetter hat einfach nur gepasst. Richtig nass bin ich nur einmal im Karwendel geworden. Ansonsten hatte ich ohnehin einen Ruhetag oder konnte ihn schieben. Ins Gewitter bin ich nie geraten. Und auch meine Sonnenallergie hat sich kein einziges Mal gerührt.

Und meine Touren. Ich konnte alles wie geplant gehen. Ich konnte alle schwierigen Passagen bewältigen. Ich habe alle Wege gefunden oder mir per GPS selbst suchen können. Mein Körper hat alles mitgemacht. Ich bin nie ernsthaft gestürzt, hatte wenig Probleme mit Blasen und auch meine Achillessehnen haben nur am Anfang auf sich aufmerksam gemacht.

All das war nicht selbstverständlich. Und die Aufzählung ist lang nicht vollständig! Gott hat auf seine Weise sein „Ich bin da“ in diese Reise hineingesprochen.

Gott hat es gut gemacht

Vielleicht war am Ende alles gut so. Ich, die Macherin, habe es eben nicht gemacht. Gott hat es gemacht. Er hat mich herausgeholt aus meinem Kopf und meinen Erwartungen. Und er hat mir gegeben, gegeben, gegeben. Ganz anders.

Es war keine fromme Glanzleistung. Vielleicht ging es aber auch nicht anders. So ein Unterwegssein fordert auf allen Ebenen. Gott hat sich jedenfalls nicht gestört daran, sondern hat einfach damit gearbeitet. Fast denke ich, er hatte Freude daran, sein kleines Mädchen zu überraschen, zu irritieren und ihm seinen Traum zu erfüllen.

Ich muss nichts tun – das fühlt sich falsch an. Ich hätte gern mehr getan, Gott mehr den roten Teppich ausgerollt. Es beschämt mich, dass ich es nicht genug getan habe, nicht hingekriegt habe. Aber es war einfach so.

Vielleicht ist es Gott völlig egal, wie gut ich das mit dem Glauben hinkriege. Vielleicht will er ja einfach nur reinspringen in mein Leben, für mich da sein, mir seine Güte erweisen. Und manchmal kann er das vielleicht besser, wenn ich ihm nicht reinpfusche oder ihm sage, wie er das zu machen hat?

Noch bin ich nicht ganz angekommen. Mein Denken und Schreiben ist noch holprig. Über das Gehen zu schreiben war einfacher. Doch je länger ich zu Hause bin, desto mehr spüre ich: Es war gut wie es war. Gott hat gut gemacht. Gott ist nicht angewiesen darauf, dass ich ihm den roten Teppich ausrolle. Er weiß doch, wenn ich nicht so kann. Es stört ihn nicht.

Ich muss mich noch an den Gedanken gewöhnen, dass Gott gern bei mir ist. Immer. Und egal wo. Er geht mit mir genauso gern in die Alpen wie er mit mir in die Kirche geht. Und er ist nicht nur auf geistlichen und wichtigen „Missionen“ gern bei mir, sondern auch dann, wenn es um mich geht, einfach nur um mich und meine Herausforderungen und Träume.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


4 Gedanken zu „Ich bin bei ihr“

  1. Liebe Stephanie,
    voller Staunen über deine Riesentour, las ich gerade deinen Bericht. Bin zu Tränen gerührt wie lieb und verständnisvoll du Gott beschreibst. Ich bin auch soo oft beschämt, weil ich IHM nicht genügend Raum gebe und zur Entspannung lieber Kreuzworträtsel löse als in seinem Wort zu lesen. Danke für diesen berührenden Beitrag.
    Gruß von Traudel

  2. Liebe Stephanie,
    gerade habe ich deinen Bericht gelesen. Es hat mich sehr berührt, wie du die menschliche Seite beschreibst und auf der anderen wie ohne unser Dazutun Gott führt. Mir fallen dabei die Psalmen ein. Wie der Psalmist Gott, die Natur und sich selber erlebt „Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt“ und trotz allem im Herzen dankbar preist und lobt.
    Zur Zeit befinde ich mich in solch einer Lebensphase, mit der ich noch nicht so richtig weiß, wie ich mit ihr umgehen soll. Das Alter macht sich bei mir schon sehr bemerkbar. Vieles was ich machen will (auch für Gott), bekomme ich nicht gebacken. Wenn ich dann zeitlich zurückschaue, sehe ich die vielen „Geschenke“, die er mir gab und wie er mich getragen hat. Da kann ich nur danken und loben. Ja er trägt mich trotz meinem Unvermögen. Praise the Lord

    1. Liebe Christa, danke für deine Gedanken! Vielleicht ist das Empfangen schwerer als das Tätigsein. Manchmal kommt es mir so vor. Dir weiterhin viel Freude auf deinem Weg mit Gott! Liebe Grüße, Stephanie

Danke für deinen Kommentar.

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