Ein guter Christ sollte in der Bibel lesen, so dachte ich. Dann geriet ich in eine Krise, in der Bibellesen nicht mehr ging. Denke ich heute anders?
Ich kann nicht in der Bibel lesen, was nun?
Die Frage klingt radikal, vielleicht sogar rebellisch. Ich stelle sie trotzdem. Es ist meine Frage und ich weiß, andere stellen sie auch.
Im Teil 1 dieses Artikels habe ich beschrieben, welche Denk-Schritte für mich wichtig waren, um zu verstehen, warum ich nicht in der Bibel lesen konnte. Wenn Bibellesen eine Herausforderung für dich ist, dann lies zunächst den ersten Teil.
Erst wenn du dich verstehst, kann sich etwas verändern. Falls du so stark reagierst wie ich, empfehle ich dir zudem: Suche dir eine Vertrauensperson im Bereich Seelsorge/Therapie.
Als ich verstanden hatte, warum ich an diesem „Ich-kann-nicht“-Punkt bin, geschah zweierlei. (1) Ich hatte Verständnis für mich und fühlte mich nicht mehr falsch. (2) Ich konnte überlegen, was mir hilft, denn ich wusste: Ich will wieder gern Bibel lesen.
Im zweiten Teil geht es um konkrete Handlungsschritte, die ich als hilfreich erlebt habe. Sie sind kein Geheimrezept, sondern Modell und unbedingt auf dich anzupassen. Immer gilt: Hör auf dich und geh die Wege, die zu dir passen!
(5) Gott begegnet mir auch ohne Bibel
Ich wollte bei meinem Problem nicht im Nachdenken steckenbleiben, sondern etwas tun. Dabei half mir die Frage: Gibt es andere Wege, auf denen Gott im Moment zu mir sprechen kann? Durch die Bibel offensichtlich nicht, aber welche Wege sind unbelastet oder sogar mit guten Erfahrungen gepflastert?
In dieser Phase der Suche nach alternativen Wegen begegnete mir Gott nicht auf Schritt und Tritt, aber doch immer wieder.
Meine „Wege ohne Bibel“ sahen unterschiedlich aus. Manchmal waren es Zitate, die mir bei Facebook über den Weg liefen. An anderen Tagen gab Gott mir durch gute Gespräche Halt. Dann wieder berührte er mich, wenn ich malte, egal wie dunkel die Farben waren. Oder wenn ich draußen unterwegs war, über Ameisen staunte …
Auch durch Musik begegnete mir Gott. Immer wieder hörte ich mir Lieder an, durch die Gott mir sagte: Alles ist gut. Ein Lied hieß: „His love will run farther than you can run away“[1] (Seine Liebe reicht weiter, als du je weglaufen kannst). – Ich war in Gottes Reichweite, egal ob ich Bibel las oder nicht! Das hielt mich.
In dieser Zeit sammelte ich Lieder in einer Playlist, auf die ich heute noch zurückgreife. Gott schenkte Lieder. Ehrliche, offene, zweifelnde, zuversichtliche – was ich gerade brauchte. Lieder ohne Frömmelei.
Im Nachhinein denke ich: Natürlich sucht Gott andere Wege, um mir zu begegnen! Ein Vater wird doch mit seinem Sohn auch nicht Fußball spielen, wenn dieser ein gebrochenes Bein hat. Es kommt doch nur darauf an, dass man zusammen ist.
Bibel las ich in dieser Zeit nicht. Ich versuchte es ab und zu, musste aber einsehen: Nein, es geht einfach noch nicht. Und vielleicht musste es auch noch nicht gehen.
Wie mein Gottesbild mein Bibellesen prägt
Mein Gottesbild entscheidet, mit welcher Brille ich die Bibel lese. Lese ich sie eher ängstlich? Lese ich sie neugierig darauf, was Gott heute für mich hat? Lange hatte ich einen angstbesetzten Glauben, der mir auch das Bibellesen verleidet hat.
Heute weiß ich, dass ich viel schneller einen Jesus vor Augen habe, der mit den Pharisäern ins Gericht geht, als den Jesus, der die Kinder geherzt hat. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Evangelien nie meine Lieblingslektüre waren. Gott ist aber beides!
Wie siehst du Jesus? Wie siehst du Gott? Mit dieser Brille liest du die Bibel!
(6) Und immer wieder: Ich muss mir Zeit geben
Gott machte mir an keiner Stelle Druck; den machte ich mir. Ich war ungeduldig und wollte einfach wieder fröhlich, neugierig und ohne Vorbehalte Bibel lesen können. Gott ließ sich von mir nicht beirren, er bremste mich eher aus.
Eine Veränderung über Nacht kam nicht. Die eigene Geschichte lässt sich nicht auslöschen. Dafür ist sie emotional zu tief verankert. Und es ist auch gut, denn ich habe doch auch viel Schönes mit Gott und der Bibel erlebt. Ich bin doch auch dankbar für meine Geschichte!
Ein Jahr lang las ich gar nicht in der Bibel. Es ging nicht. Und ich hatte auch entschieden: Nein, ich werde mich nicht zwingen. Das auszuhalten war nicht immer leicht, denn mein innerer Richter predigte mich nach wie vor hartnäckig an und redete mir ein schlechtes Gewissen ein.
Zum Jahreswechsel entschied ich mich, einen Versuch mit den Herrnhuter Losungen zu wagen. Damit hatte ich schon einmal gute Erfahrungen gemacht. Jeden Tag zwei ausgewählte Texte plus Zitat. Dafür musste ich nicht einmal die Bibel aufschlagen.
Erstaunlicherweise funktionierte das. Ich las die Losungen zwar nicht jeden Tag und manchmal rieb ich mich an den Texten. An manchen Tagen sprach mich auch nur das Zitat an. Doch es wurde eine Gewohnheit daraus, die mir half, wieder Bibel zu lesen, ohne die Bibel aufschlagen zu müssen.
Für den Anfang war das die richtige Dosis. Mehr passierte erst einmal nicht. Die Losungen brachten mich wieder mit dem Wort in Kontakt, um das ich einen Bogen gemacht hatte. Und überhaupt, es war schon ein Fortschritt, dass ich sie neugierig und ohne inneren Widerstand aufklappen konnte!
Im Nachhinein denke ich: Dass die Losungen funktioniert haben, mich Gott durch dieses kleine blaue Buch um die Ecke erreichen konnte, das war nicht selbstverständlich.
(7) Ich finde meine Wege mit der Bibel
Es blieb bei kleinen Schritten. Mal ging es mit den Losungen tagelang so gut, dass ich übermütig dachte: „Ich bin über den Berg!“, dann wieder berührte mich nichts.
Aber die guten Tage und Momente wurden mehr. Ich las die Losungen und ab und zu gut ausgewählte christliche Bücher, die mir halfen. Wenn ich ein Buch erwischte, das nicht passte, legte ich es rigoros zur Seite.
Nach zwei Jahren schlug ich meine Bibel wieder auf – sporadisch und ausgewählte Texte. Manchmal ging es mir damit gut, dann wieder blieb meine Bibel wochenlang geschlossen. Es war ein Auf und Ab zwischen freudigem Berührtsein und der Ernüchterung, dass mich nichts berührte.
Durch einen Artikel stieß ich auf die englische Bibelübertragung „The Message“ und bestellte mir diese. Dass sie einen pinkfarbenen Einband hatte, ließ mein Herz hüpfen. Ja, manchmal sind es Details und Formen, durch die es leichter wird, die Bibel in die Hand zu nehmen.
Die Sprache dieser Bibel berührte mich sofort. Es war meine Sprache und ich las den Bibeltext auf einmal mit Neugier! Der Luthertext war mir vertraut, hier dagegen war alles neu für mich und ich genoss das. Die englische Sprache zwang mich zudem, langsam zu lesen. Und vieles klang anders, weniger bedrohlich, nahbarer.
Ich probierte noch anderes aus, merkte aber: Mancher Zugang zur Bibel liegt mir weniger. Noch immer finde ich es spannend, Bibeltexte zu malen (Bible Art Journaling), aber ich habe nie lange durchgehalten. Ähnlich ging es mir mit der Hörbibel. Aber Gott fand seinen Weg anders zu mir.
Wie es mir heute mit der Bibel geht
Inzwischen sind sechs Jahre vergangen. Bibellesen bleibt eine Herausforderung für mich. Ich erlebe Bibel-Genuss-Phasen, in denen die Bibel mich ermutigt und mir Kraft gibt. Das sind Zeiten, in denen ich mich auf meine Stille Zeit freue. Aber es gibt auch die anderen Tage und Wochen.
Nach wie vor erlebe ich Phasen, in denen ich die Bibel aufschlage, aber der Text mich nicht berührt. Es ist ein eher holpriges Zusammensein mit Gott, emotionslos, anstrengend. Aber ich lese in der Bibel, öffne Gott eine Tür. Und ich war mit ihm zusammen – und darum geht’s doch. Das muss ich mir immer wieder sagen.
Dauert diese Phase zu lange, rutsche ich manchmal wieder in die Vermeidung hinein und beginne, einen Bogen um die Bibel zu machen. Zugleich bin ich aufmerksamer geworden, lerne ich hinzusehen und mir zu helfen.
Heute erzwinge ich jedoch nichts mehr. Wenn es nicht geht, dann ist es so. Gott findet seinen Weg zu mir. Ich muss nichts leisten oder lesen, um mit ihm verbunden zu sein. Wenn es mir heute so geht, dann greife ich auch gern auf die Alternativwege zu, die Gott mir geöffnet hat.
Inzwischen finde ich es zum Beispiel auch hilfreich, mit Bibelkommentaren die Bibel zu lesen. Dadurch bin ich mit dem Bibeltext nicht allein.
Christsein ist „Gott und ich“
Ich glaube, dass Gott uns mit der Bibel wirklich etwas geschenkt hat und dass er durch sie zu mir spricht. Die Bibel ist ein Schatz – das habe ich erlebt! Trotzdem meine ich nicht mehr, dass ich in der Bibel lesen muss, um mit Gott verbunden zu sein. Gott hat viele Wege.
Wenn man Bibel liest, hat man auch nicht zwingend mehr erkannt. Und man ist Gott auch nicht näher. Man liest einfach nur Bibel.
Die Phase des „Ich kann nicht“ hat meinen Horizont geweitet. Mein Verständnis für Menschen ist gewachsen, bei denen Glauben nicht einfach funktioniert. Das liegt oft nicht am guten Willen, sondern es gibt Gründe dafür.
Auch mein Verständnis von Gott hat sich verändert. Ich sehe mehr und mehr, dass Gott ein guter Gott ist, dem es um das Miteinander mit uns Menschen geht. Und am liebsten redet er so zu uns, wie es für uns gerade richtig ist und wie wir es brauchen.
Glaube ist mehr als Bibellesen. Und Gott ist größer und geduldiger, als ich es mir je vorstellen kann. Heute weiß ich: Gott sucht nicht mein Bibellesen, er sucht vor allem mein Herz.
Mein Fazit in 7 Punkten
- Gott ist einfach nur gut. Seine Liebe reicht weiter als das, was ich ihm je geben könnte.
- Meine Geschichte prägt mich. Gott kennt meine Geschichte.
- Ich darf ein Problem mit Bibellesen haben. Gott hat damit kein Problem.
- Es hilft mir nicht, wenn ich mich zum Bibellesen zwinge. Gott zwingt niemanden.
- Veränderung benötigt Zeit, viel Zeit. Gott gibt mir Zeit.
- Gott braucht mein Bibellesen nicht, um mit mir zu reden. Er findet andere Wege zu mir.
- Es geht beim Christsein nicht ums Bibellesen, es geht beim Christsein um eine Beziehung.
[1] „He’ll do whatever it takes“ von Philips, Craig and Dean
Fotos: pixabay | Pexels (Titel), Takmeomeo (Hände), Ubcmio (Weg); privat (The Message)
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Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.