Meine Oma hat mir mehr vermacht als nur ihr Nähkörbchen. Gedanken über eine Frau, die mir gezeigt hat, was Liebe ist und wie Gott liebt.
Schätze meiner Oma
Ich sitze auf dem Wohnzimmersofa und stopfe das Loch in meiner Jogginghose. Neben mir steht ein kleines Nähkörbchen. Ich habe es vor mehr als fünfzehn Jahren von meiner Oma geerbt. Es erinnert mich an sie, ihre blauen Augen und ihr fröhliches Lachen.
Sie war eine ganz sanfte Oma, aufmerksam und empfindsam.
Wenn ich als Kind mit ihr durch den Garten gezogen bin, haben wir gemeinsam gestaunt. Immer. Über den Frosch an ihrer Wassertonne, der genau wusste: Hier habe ich ein gutes Zuhause. Über die Riesenmohnblüte, die jedes Jahr neben ihrem kleinen Gewächshaus aufging. Über die vielen Augustäpfel, das dichte Laub des Haselnussstrauches, die kleinen grünen Stachelbeeren …
Ich greife ins Nähkörbchen und hole die Schere heraus. Ihre Schere. Ich spüre Dankbarkeit. Ja, meine Oma ist viel zu früh gestorben, aber ich hatte eine Oma und sie hat mir nicht nur ihr Nähkörbchen vermacht, sondern ihre ganze Liebe. Zugewandt. Unaufdringlich. Anziehend.
Liebe macht es einem leicht
In den letzten Jahren habe ich selten an diesen Schatz gedacht, den sie mir mitgegeben hat. Jetzt, während ich stopfe, denke ich: Gottes Liebe ist wie die Liebe meiner Oma.
Sie hat es mir leicht gemacht, sie zu lieben. Eingefordert hat sie meine Liebe nie. Sie hat mein Herz anders gewonnen. Indem sie mich geliebt und mir ihr Herz geschenkt hat.
Eigentlich steht es genauso in der Bibel. Gott sagt: Ich habe dich zuerst geliebt (1 Joh 4,19). – Und wenn ich Gottes Liebe zulasse, ist meine Liebe zu ihm vielleicht ein Selbstläufer wie bei meiner Oma.
Stimmt das? Oder braucht es bei Gott nicht doch Anstrengung, Bemühen und Einsatz, wenigstens ein bisschen?
Bei meiner Oma brauchte es das nicht. Sie hat mich einfach geliebt. Als Mensch. Und auch wenn ich es mir nur schwer vorstellen kann: Gottes Liebe ist unendlich viel größer, zugewandter und fürsorglicher, als die Liebe meiner Oma es je war. Bedingungslos verschenkend.
Gott liebt wie sie
Meine Oma und ich sind uns in vielem ähnlich. Und in vielem nicht. Sie hatte ein erstaunliches Vertrauen in Menschen und Gott, um das ich sie beneide und nach dem ich mich sehne. Solch ein Vertrauen täte mir gut.
Das Loch in meiner Hose ist gestopft. Ich lege Schere, Nadel und Faden wieder in das kleine gelbe Körbchen und schließe den Deckel. Obendrauf ist ein Herz genäht. Ob es schon immer darauf war? Ob sie es selbst draufgenäht hat?
Es würde mich nicht wundern. Es würde zu ihr passen. Wo sie war, war sie immer mit dem Herzen. Und wo sie ihr Herz verschenken konnte, hat sie es getan.
Ich bin dankbar für meine Oma. Was für eine erstaunliche Frau sie war! Der Gedanke, dass Gott es mir leichtmacht, mir sein Herz liebend gern schenkt, geht mir noch lange nach. Was für ein Gott!
Foto: Stephanie Kelm
Anderes aus der Kategorie „Alltagsgleichnisse“
Vereiste Herzen
Wie wird ein vereistes Herz eisfrei? Ich greife schnell nach Eiskratzer und Brechstange, versuche es… Weiterlesen »Vereiste Herzen
Verwegenes Vertrauen
Ein Boxer fordert mich zum Spielen auf. Mit seinem sabbrigen Ball. Lass ich mich darauf… Weiterlesen »Verwegenes Vertrauen
Andere Welten
Hinter mir liegt eine Woche Bulgarien-Familienzeit. Mein Kopf schwirrt noch voller bulgarischer Vokabeln. Dazu habe… Weiterlesen »Andere Welten
Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.
Danke, liebe Stephanie!
Du hast mich mit deinen Zeilen an meine beiden Omas erinnert – beide so unterschiedlich und beide so toll! Ich bin froh und stolz, dass sie mir so viele Weisheiten – übers Kuchenbacken und über den geduldigen Umgang mit so manchem Mitmenschen 🙂 – mit auf den Weg gegeben haben.
Ich wünsche jedem Kind solche Omas oder andere liebevolle Vorbilder während des Aufwachsens!
Herzlichst, Maria
Hallo Maria, ja, von Großeltern lernt man mehr, als man denkt. Das geht mir zumindest so. Je älter ich werde, desto bewusster wird mir das. Liebe Grüße, Stephanie