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Aufrecht

Ich bin gerade unterwegs. Mitgenommen habe ich ein Buch, in das ich längst hineinschauen wollte. Es geht um Resilienz und im Moment geht mir eine Begebenheit nach, von der Gordon MacDonald, der Autor, berichtet.

Er erzählt, dass er einmal mit dem Flugzeug in Hong Kong gestrandet war, ohne Aussicht auf einen Weiterflug in den nächsten zwei Tagen. Die erste Nacht nahm er sich ein Hotel, versuchte dann aber erneut, ein zeitnahes Ticket nach Hause zu bekommen. Dabei fiel ihm ein anderer Mann auf, der offensichtlich dasselbe Problem hatte wie er. Er beobachte, wie dieser am Schalter wild mit dem Mitarbeiter diskutierte – und schließlich mit einem Boarding-Pass zurückkam und zu ihm sagte: „Also, ich sage Ihnen, wie das funktioniert. Ich bin da an den Schalter gegangen und habe dem Mann gesagt, was ich von der Fluglinie halte und dass ich nie wieder damit fliegen werde. Dann habe ich einen Platz in der nächste Maschine verlangt – und einen bekommen.“

MacDonald entschied sich daraufhin, zum gleichen Schalter zu gehen und sagte dem Mann dort: „Sir, mir wurde gesagt, wenn ich Ihnen ordentlich Druck mache, würden Sie mir ein Ticket ausstellen. Ehrlich gesagt, so ein Mensch bin ich nicht. Ich mache andere nicht klein. Trotzdem würde ich wirklich gern nach Hause fliegen. Könnten Sie mir dabei helfen?“ MacDonald beschreibt, wie er danach zu seinem Sitzplatz zurückging und voller Optimismus abwartete, überzeugt, sein Weg sei der bessere und siegreichere. Es passierte allerdings Folgendes: Der Mann ging an Bord der Maschine und flog heim, MacDonald saß weitere anderthalb Tage in Hong Kong fest.

Er schlussfolgert: „Charakter führt nicht immer dazu, dass wir zum gewünschten Erfolg kommen.“

Ich merke, ich habe in der Geschichte auf ein Happy End gewartet. Wie MacDonald selbst auch. Aber es kommt eben nicht immer derjenige weiter, der werteorientiert lebt. Oft sind es eher die mit den stärkeren Ellenbogen und breiteren Schultern, die Redegewandten und die, die sich gut verkaufen.

Ich muss mir immer wieder die Frage stellen: Warum tue ich etwas, wie ich es tue? Geht es mir vor allem ums Ergebnis, den schnellsten Flug nach Hause? Dann mag es verlockend sein, andere „Hilfsmittel“ aufzufahren. Hauptsache, schnell zu Hause! Und zugegeben, manchmal bin ich die mit den Ellenbogen. Da will ich nur haben, gewinnen, Recht haben, nicht hintenan stehen und warten, anderen nicht den Vortritt lassen. Da fahre ich alles auf, was ich habe. Vielleicht sogar erfolgreich. Und doch fühlt es sich am Ende nicht erfolgreich an, sondern schal. Und das Erreichte, was ich eigentlich genießen wollte, liegt mir quer im Magen.

Wenn ich ehrlich bin, wäre ich lieber ein Mensch mit Stehvermögen und einer, der fair bleiben kann und nicht das Messer zückt. Ein Mensch, der auch damit leben kann, erst den späten Flug zu bekommen. Einer, der abends in den Spiegel schauen und sich noch anlächeln kann.

Leben mit Prinzipien – bei mir ist da noch viel Luft nach oben. Viel zu oft ist mir der schnelle Weg lieber, die Abkürzung mit unlauteren Mitteln, die Bequemlichkeit. Viel zu oft habe ich nur mich im Blick und das, was ich erreichen will. Ich habe Prinzipien, aber manchmal sind sie schnell über Bord geworfen und die Stacheln ebenso schnell ausgefahren. Dann bekommt mein Mann meine Ungeduld um die Ohren gehauen und ich werde giftig.

Geduld, Fairness, Freundlichkeit – vielleicht führen sie mich nicht immer zum gewünschten Ergebnis, aber es scheint mir, sie sind immer der bessere Weg. Jesus hat das hingekriegt. Er hat nie mit unlauteren Mitteln gespielt. Und er hat sich damit durchaus das Leben schwerer gemacht. Trotzdem war sein Weg richtig und gut, für manche Ärgernis, für andere aber Beispiel und Inspiration.

Aufrechtes Leben führt sich nicht automatisch. Es erfordert Weisheit und Mut, Stehvermögen und Kraft. Es braucht Wurzeln und ein Gepflanztsein am Wasser, wie Psalm 1 es ausdrückt. Aufrechtes Leben ist nichts, was ich einfach mal auf Knopfdruck machen kann. Vielleicht kann ich es nur pflegen wie eine Pflanze und die Voraussetzungen zum Wachstum schaffen.

Ich spüre, das ist der richtige Weg. Ich spüre auch, es ist selten der leichteste und schnellste Weg. Ich weiß, ich kann ihn nicht allein gehen. Herr, gut, dass du da bist!


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Aufrecht“

  1. Liebe Stephanie, erstmal nur schnell Ihren Beitrag überflogen, und natürlich ist immer (!) Luft nach oben, weil wir eben alle miteinander nicht Jesus sind.
    Mir hilft seit 10 Jahren ein Satz, den eine junge Frau mir ganz zu Beginn meiner Pilgerreise mit Jesus wieder und wieder gesagt hatte: „Machen Sie sich doch nicht so einen Kopf!“
    Ihr himmlischer Vater liebt Sie, liebe Stephanie, erwartungslos, bedingungslos! Alles, was Sie machen oder eben auch nicht, es überrascht Ihn nicht, Er sitzt nicht da oben und kratzt sich am Bart, rollt mit den Augen
    … NEIN, meine Tochter, bade doch einfach in meiner unermesslichen Liebe, bring alles zu meinem Altar. Wieder und wieder … Praise the Lord!

Danke für deinen Kommentar.

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