Meine Beziehung zu Gott gestaltet sich gerade zäh, so empfinde ich es zumindest. Es fließt und sprudelt nicht und ein bisschen erscheint es mir so, als müsste ich mir jeden guten Gedanken mühsam erarbeiten und alles aus Gott herauskitzeln.
Das Bild erinnert mich an mich als Kind. Ich war eher wortkarg. Auf die Frage „Wie war’s in der Schule?“ habe ich selten ausführlich geantwortet. Meine Mutter musste mir alles aus der Nase ziehen – und hat doch nicht viel herausbekommen.
Auf einmal bin ich in dieser Rolle. Jetzt bin ich diejenige, die Worte und Verbindung sucht, Nähe, und die sich mit dem zufriedengeben muss, was nur in kleinen Dosen zurückkommt. Ich bemühe mich. Ich lese. Ich schreibe. Ich bete. Ich bin auf Empfang, aber empfange nicht viel. Irgendwie klappt es mit unseren Meetings nicht, obwohl wir beide da sind, Gott und ich. Vielmehr habe ich das Gefühl, wir begegnen uns nicht wirklich.
Mein Verstand sagt mir, ich solle nicht so sehr aufs Gefühl setzen. Er hat leicht reden. Ich will nicht nur im Kopf glauben. Das ist mir zu wenig. Ein bisschen Recht hat er vielleicht trotzdem. Wie viel Gefühl braucht mein Glaube? Wie viele Emotionen braucht Beziehung zu Gott?
Die erste Frage beantwortet mein Hirn unverzüglich: „Echter Glaube braucht kein Gefühl!“ Der Satz kommt ziemlich herzlos aus meinem Kopf herausgeschossen. Ich erschrecke darüber, fühle mich ertappt, denke: ‚Als guter Christ sollte ich mich nicht von Emotionen leiten lassen.‘ Und dann habe ich Ratschläge im Kopf wie: Gefühle können in die Irre führen ODER Gute Gefühle können süchtig machen. Den erhobenen Zeigefinger gibt’s gleich dazu und den Anspruch: Ich muss glauben können, auch wenn ich nichts fühle. Nur das ist wahrer Glaube.
Bei der zweiten Frage „Wie viele Emotionen braucht Beziehung zu Gott?“ schweigt mein Kopf erst einmal irritiert. Es ist dieselbe Frage, trotzdem komme ich zu einer anderen Antwort. Das Wort „Beziehung“ macht den Unterschied. Beziehung hat immer mit Emotionen zu tun. Glaube also auch?
In meinem Kopf sitzt aus irgendeinem Grund das Bild, ein starker Glaube sei frei und unabhängig von Emotionen. Ich wage heute, das Gegenteil zu denken. Vielleicht ist ein starker Glaube geradezu durchdrungen von Emotionen! Wie arm wäre mein Glaube, wäre meine Beziehung zu Gott, wenn ich nicht fühlen würde.
Ich stelle mir gerade einen Glauben ohne Empfindsamkeit vor. Er fühlt sich kalt an, lieblos, grausam. Wer so glaubt, kann trotzdem Recht haben, Wahres von sich geben, und doch weit entfernt von der Wahrheit sein.
Gott mit allen Sinnen erfahren und erkennen wollen – ich darf es! Wenn ein David wie ein Hirsch nach Gott lechzt, will er fühlen und schmecken. Und dann hatte er das Gefühl wie ich, dass es zwischen ihm und Gott grad nicht so läuft wie gewünscht.
Vielleicht erlebt gerade der Glaubende Emotionen in all ihrer Tiefe und Schönheit und Schrecklichkeit. Jesus hat gefühlt wie kein anderer. Er war voller Erbarmen und Mitgefühl, er war erbost und zornig, er hatte Angst und spürte die Trennung vom Vater bis ins Innerste. Jesus war alles andere als ein Kopfmensch. Er war sich seiner Emotionen sehr bewusst. Und er hat es geschafft, mit all diesen Emotionen vor seinem Vater zu leben. Er hat sie sich nicht verkniffen. Hätte er sie sich verkniffen, wir wüssten nichts darüber. Aber die Texte sind voll davon!
Jesus traut sich sogar, die Frage herauszuschreien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Er klagt Gott an, wirft Gott seine Verlassenheit entgegen! Und ich finde es erstaunlich, wie er zu dieser Frage steht, ohne Schuldgefühl und schlechtes Gewissen. Er spricht sie einfach aus. Sie darf sein. Und Gott tadelt ihn auch nicht dafür. Er nimmt ihn und seine Frage an sein Herz.
Wie gut täte es mir, wenn ich diesen Austausch mit Gott hätte! Wie anders wäre es, wenn ich Gott nicht nur in mein Verstandesleben hineinließe, sondern auch in mein Gefühlsleben. Was wäre, wenn ich Gefühle wie Angst, Wut und Scham nicht versuchen würde wegzudrücken oder wegzulächeln, sondern mir traute hinzusehen – und sie in Gottes Hand zu legen.
Gott hat mich gut geschaffen. Besser als mir oft bewusst ist. Nicht alle Gefühle sind schön, aber alle können mir helfen, mich auf Dinge hinweisen. Wie arm wäre mein Leben ohne mein Fühlen, wie arm meine Beziehungen.
Wie arm wäre mein Glaube.
Foto: pixabay | Hans Schwarzkopf
Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.