Die blöde Nilgans! Ich bin sauer. Auf die Nilgans. Weil sie meine Idylle zerstört, die ich mir so schön ausgemalt hatte. Meine Wandertour sollte genau am See enden und dort wollte ich dann einfach nur Natur genießen. Ungestört. Stattdessen komme ich zum See und sehe diese Gans.
Sie war sonst nie da. Sonst haben dort immer ein paar Enten friedlich ihre Bahnen gezogen. Jetzt diese Nilgans – und eine Ente. Auf die hat die Nilgans allerdings die Jagd eröffnet. Und so sitze ich an dem See, der eigentlich mein kleines Paradies sein sollte, und werde stattdessen Zuschauer eines Kampfes. In dem meine Ente leidet und vermutlich verlieren wird. Es tut mir weh.
Natur ist nicht immer nur schön. Vielleicht in meiner Vorstellung und Sehnsucht, aber in der Realität ist sie schön UND. Schön und grausam. Schön und hart. Schön und tödlich.
Nicht mal das „Paradies“ ist paradiesisch. Heute hat es mir eine Nilgans geraubt. Und meine Naivität hat ihr den Weg bereitet. Eigentlich weiß ich es doch. Ich weiß doch, dass es auf dieser Welt kein Paradies gibt. Aber ich sehne mich so schrecklich danach.
Hin und wieder erlebe ich paradiesische Augenblicke. Offensichtlich lassen die sich aber nicht planen. Oder nur bedingt.
Highlight meiner heutigen Tour waren tatsächlich zwei Überraschungen. Die Entdeckung einer richtig guten Büchertelefonzelle gleich im Nachbardorf, die mich so überzeugt hat, dass ich drei Bücher eingepackt und die nächsten fünf Stunden durch die Gegend geschleppt habe. Und ein Ausblick an einer Stelle, wo ich gar keinen vermutet hatte: ein plötzlicher Blick aus dem Wald heraus in die Weite und nach links und rechts. So als läge mir die Welt zu Füßen.
Schönheit und Brutalität. Alles an einem Tag. Freude, Staunen, Weite, Atmen – und der erbitterte Kampf einer Nilgans gegen eine Ente.
Manchmal tut das Leben in dieser Welt weh. Ich kann mich nicht vor Schmerz und Enttäuschung verstecken und selbst wenn ich es versuche, lande ich manchmal mittendrin. Sogar an einem Waldsee.
Daran sind nicht immer nur die anderen schuld. Natürlich, wenn die Nilgans nicht gewesen wäre, wäre meine Seezeit friedlicher verlaufen. Aber wie oft bin ich die Nilgans, die den Unfrieden mitbringt, Raum beansprucht, auf Enten herumhackt und alles persönlich nimmt. Und wie geht es Gott erst, wenn er diese Welt betrachtet und uns sieht – die Nilgänse und die Stephanies?
Am Anfang war alles sehr gut. Paradiesisch. Dann kam die Geschichte mit der Schlange, dem Apfel, dem Verstecken vor Gott, der Vertreibung aus dem Paradies. Seitdem kämpfen Nilgänse gegen Enten und Menschen gegen Menschen. Seitdem müssen wir uns alle damit arrangieren, dass es kein Paradies mehr gibt. Und mit unserer Sehnsucht danach klarkommen.
Ich fürchte, in diesem Beitrag gibt es kein Happy End. Ich merke, ich suche danach, will das große Aber hinterherschicken. Doch hier in dieser Welt gibt es kein Happy End. Ja, Gott hat versprochen alles neu zu machen. Ja, ich habe Hoffnung! Aber in dieser Welt muss ich leben, muss mit dieser Spannung klarkommen, werde auch weiterhin daran leiden. Und trotzdem will ich jede Freude, geplant oder überraschend, dankbar genießen. Denn es gibt ja Beides.
Foto: pixabay, Jaesu An
Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.
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Das spricht mir aus dem Herzen und ich muss immer wieder in dieser schönen, grausamen Welt meinen Weg suchen. Manchmal denke ich, mich verlässt die Kraft, aber mir hilft dann immer der Gedanke, dass „Aufgeben“ keine Option ist, dass das Leben eben so ist, schön und grausam und deshalb rette ich immer mal wieder „eine Ente“, wohlwissend, dass es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, … aber es hilft mir ein bisschen (… und einer Ente …)
Ja, ich habe die gleiche Hoffnung! „Siehe ich mache alles neu“, was gibt es Schöneres?