Thomas. Irgendwie mag ich ihn, den Jünger, der sich schwertut mit dem Glauben. Während die anderen schon die Auferstehung feiern, weil sie Jesus gesehen haben, steckt Thomas in seinem Zweifel fest, denn er hat die Begegnung mit dem Auferstandenen dummerweise verpasst.
Und selbst ich, die ich ihn so gut verstehe, entdecke die Stimme in mir, die zu Thomas sagen will: „Glaub doch! Die anderen haben ihn doch gesehen!“
Aber so einfach ist das nicht. Damals nicht, heute auch nicht. Glauben kann man nicht machen. Thomas war nicht dabei und „einfach glauben“ mag für andere vielleicht funktionieren, für ihn nicht. Er will sehen und spüren. „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale …, kann ich’s nicht glauben.“ (Joh 20,25)
Sehen und spüren. Acht lange Tage wartet Thomas und hängt in der Luft – während die andern feiern, glauben und nicht verstehen können, warum Thomas nicht glauben kann. Und vielleicht schwimmt Thomas in diesen acht Tagen nicht nur in seinen Zweifeln, sondern auch in Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen und der Frage, warum er nicht glauben kann. Er würde ja gern!
Glaube ist nicht übertragbar. Dass du glaubst, heißt nicht, dass ich auch glauben kann. Dass ich glaube, hilft deinem Glauben nur bedingt. Ja, manchmal trägt der Glaube und das Gebet eines anderen ein Stück mit, manchmal dürfen wir ein bisschen im Windschatten unseres Nächsten mitsegeln – und das tut gut! Dennoch, für die Langstrecke des Lebens brauche ich selbst Glauben. Und den kann ich nicht machen oder von einem anderen abzapfen. Ich muss selbst sehen und spüren, muss Gott selbst begegnen.
Manchmal geistern dafür fromme Rezepte durch die Kirchenbänke: Bibel lesen, beten, Gottesdienst. Und wenn sich auch dann nichts ändert, dann ist es vielleicht nicht genug und du solltest mehr Bibel lesen, mehr beten, öfter zum Gottesdienst gehen. Schnell taucht dann die Frage auf: Warum kann ich nicht glauben? Was mache ich falsch? Denn, Gott kann ja nichts falsch machen. Und wenn der Fehler nicht bei ihm liegt, muss ich ja schuld sein.
Vielleicht ist niemand schuld. Vielleicht mache ich nichts falsch. Und Gott will mir das Leben auch nicht schwermachen. Vielleicht ist Glaube in dieser kaputten Welt immer eine Herausforderung und immer Geschenk da, wo er sich zeigt. Vertrauen kann ich auch nicht jedem. Wieso sollte das mit Gott anders sein?
Thomas ist hartnäckig, geradezu stur. Er will sehen und spüren. Sonst kann er nicht glauben. Und Gott scheint damit kein Problem zu haben. Er hat uns ja auch so geschaffen: als Wesen, die sehen und spüren wollen, es brauchen! So funktioniert Beziehung. Die anderen Jünger glauben ja auch nur, weil sie Jesus gesehen haben!
Wartezeiten sind schwer auszuhalten. Wir feiern lieber, sind froh, wenn das Warten ein Ende hat. Bei Thomas sind es acht Tage, bei anderen sind die acht Tage länger.
Die Geschichte mit Thomas geht gut aus. Nach acht Tagen begegnet ihm Jesus und Thomas darf genau das, was er wollte: sehen und spüren. Er darf Jesus seinen Finger reichen, sich berühren lassen. Und zugleich weiß er: Es ist ein Geschenk. Er hat es nicht gemacht. Sein Zweifel ist nicht verschwunden, weil er sich mit dem Glauben so angestrengt hat.
Mich entspannt der Gedanke, dass es nicht an meinem Machen und Suchen und Bibellesen und anderen frommen Überschlägen liegt. Vielleicht ist mein Suchen und Wollen weniger entscheidend als ich denke. Ja, ich spüre, Suchen öffnet mich und meinen Blick für alles, was über diese Erde hinausgeht. Und es ist auch gut, aktiv zu sein. Aber in Thomas‘ Leben steht Jesus auf einmal und ganz plötzlich da, offenbart sich. In Thomas‘ Leben ist der Schlüssel zum Glauben die Begegnung – und die Begegnung Geschenk.
Foto: pixabay, Ryan McGuire
Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.