Spießroutenlauf Alltag
Manchmal steckt der Wurm drin. Da plane ich, doch mein Plan geht nicht auf. Stattdessen ist da einfach nur Wirrwarr, das immer mehr verknotet. Dabei hatte ich alles so schön geplant!
Ich muss an meine Alpenüberquerung denken, den Abschnitt zwischen dem Passo Pordoi und Canazei in den Dolomiten. Der Sellastock mit seinen fast 3000 Metern hatte mich gerade wieder ausgespuckt und eigentlich wollte ich nur zur Plattkofelhütte laufen. Doch der Weg wurde zum Spießroutenlauf. Mit 10 Kilo auf dem Rücken stand ich vor meinem Wanderweg, ungläubig auf das Schild vor mir starrend: „Mountainbikestrecke – für Wanderer verboten!“ Ich probierte einen anderen Weg, landete oben statt unten, schlug mich daraufhin querfeldein hinunter ins Tal. Zumindest inklusive Murmeltiere. Wieder auf meiner Route stand ich vor der nächsten Sperrung wegen Bauarbeiten. Erneut hieß es Umplanen. Offensichtlich befand ich mich hier mitten an einem touristischen Drehkreuz; überall Parkplätze, Seilbahnen, Skipisten, Mountainbiker – und ich als Wanderer mittendrin, verloren. Wieder auf dem Weg stürzte mein Handy samt Karte ab. Es folgte eine Zwangspause im Gras und ich atmete auf, als ich es wiederbelebt hatte. Den nächsten Mountainbikeweg nahm ich dann frech, trotz Verbot. Ich wollte doch ankommen!
Zwei Stunden später. Ich bin im Tal und am Zustieg zur Plattkofelhütte. Endlich! Noch eine Stunde später und dreihundert Meter höher sitze ich auf meiner Mittagspausenwiese. Die Welt ist wieder in Ordnung, rings um mich ist einfach nur grünes Gras und ein Meer von Herbstzeitlosen. Wie schön!
Ein Tag, zwei unterschiedliche Szenen. Sie bilden gut mein Leben ab. Einerseits das Wirrwarr, in dem ich oft stecke und kein Land sehe – auf der anderen Seite die Momente, in denen alles seine Ordnung hat und in Ordnung ist.
Gestern und morgen
Als ich heute Morgen am Schreibtisch saß mit meinem Chaos kämpfend, musste ich an diesen turbulenten Tag meiner langen Tour denken. Es war, als wäre er das perfekte Gleichnis für das, was ich zurzeit erlebe. Und als ich gedanklich wieder auf dieser Wiese voller Herbstzeitlose saß, dachte ich plötzlich: Kann das die Lösung sein?
Diese Bergwiese war ein besonderer Moment an diesem Tag. Was mich berührte: Ich sah zurück und nach vorn. Ich sah den Sellastock von gestern, den Langkofel von morgen und auch den wirren Weg der letzten Stunden. Es war fast so, als konnte ich mich hier auf dieser Wiese verankern, als sah ich durch diesen Moment das Gestern und das Morgen klarer. Und das Heute.
Vielleicht ist es in meinem Leben genauso. Ab und zu brauche ich Anker, damit ich nicht im Wirrwarr untergehe, den Überblick nicht verliere. Damit ich weiß, wo ich bin. Zurückschauen, nach vorn schauen, im Jetzt sein.
Mehr als ich denke
Solch eine Rückschau tut mir auch im Blick auf Gott gut. Denn wie schnell mache ich mich verrückt, weil etwas nicht gelingt oder weil ich mal wieder meine, ich sei noch nicht liebevoll genug, hilfsbereit genug, christlich genug. Das mag der Fall sein, doch wenn ich fünf Jahre zurückschaue, sehe ich durchaus, wie viel sich in meinem Leben mit Gott getan hat. Mein Glaube ist sehr viel weiter geworden, mein Bild von Gott so viel liebevoller, ich glaube noch … Gott hat viel getan.
Vergleiche ich mein Jetzt nur mit dem Vorhin, ist nicht viel Fortschritt zu sehen. Doch wenn ich in größeren Abschnitten denke, darf ich feststellen: Es gibt Veränderungen! Ich bin doch ein paar Schritte vorangekommen. Nur vielleicht nicht so schnell und so weit, wie ich es gern wollte. Und vielleicht auch nicht so schnell und so weit wie andere. Aber ich bin ich und mein Weg ist mein Weg. Ich bin noch lange nicht fertig. Ich werde immer Baustelle sein. Gottes Baustelle.
Wie gern wäre ich fertig! Wie gern wäre ich durch und durch heilig. Wie gern hätte ich ein leichtes Leben, in dem Glaube, Vertrauen und Selbstlosigkeit selbstverständlich wären. Ich hasse es, unfertig zu sein. Baustelle.
Dennoch berührt mich der Gedanke, Gottes Baustelle zu sein. So sehr ich an mir zweifle und verzweifle: Ich bin Gottes Baustelle, er ist der Bauherr. Er weiß, was dran ist. Er weiß aber auch, was schon alles geschafft ist. Und was ich vielleicht gar nicht sehe.
Richtfest
Beim Richtfest ist vieles fertig, aber sehr vieles nicht. Das Dach fehlt noch, der Garten und der gesamte Innenausbau auch und die Tapete an den Wänden sowieso, ganz zu schweigen von Gardinen und Kopfkissen. Trotzdem wird gefeiert. Darf ich vielleicht auch feiern? Darf ich feiern, dass ich bei Gott bin und dass ich es mit ihm bis jetzt geschafft habe oder besser er mit mir?
Wie anders beginne ich die Gegenwart zu sehen, wenn ich zurückschaue auf meinen Weg. Ich bin heute die, die ich bin, weil Gott mit mir unterwegs war. Er hat gebaut und geschafft. Vieles sogar! Aber vieles ist eben noch unfertig und manches noch nicht einmal im Ansatz zu sehen. Bis die Bilder an die Wand kommen, wird es dauern.
Oft sage ich: Ich bin unterwegs mit Gott. Aber eigentlich ist Er es, der mit mir unterwegs ist, mich immer wieder einsammelt, mich auf Bikerpfaden bewahrt und beim Querfeldein mit Murmeltieren beschenkt. Gott ist es. Er ist mit mir unterwegs. Er baut mein Haus. Ich bin seine Baustelle. Er bestimmt das Tempo. Nur ich meine manchmal, es müsste schneller gehen …
An der Plattkofelhütte bin ich nachmittags angekommen, am Alpensüdrand zwei Wochen später auch. Es war Gottes Geschenk an mich. Eines Tages wird die Baustelle Stephanie fertig sein. Es wird nicht an mir liegen. Sie wird fertig sein, weil Er genau wusste, wann was dran ist. Bis dahin darf ich dankbar und gelassen im Heute leben – ich übe es zumindest – und Richtfest mit dem Bauherrn feiern!
Foto: pixabay | tomwieden
Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.