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Ich verdamme dich nicht

Im Moment muss ich mich erinnern. Ich muss mich erinnern, dass Gott großherzig ist und weit und nicht hinter mir her wie ein Prüfer, der auf seinem Klemmbrett alles notiert, wo ich vom Ideal abweiche.

Manchmal fällt es mir leicht, Gott das absolut Gute zuzutrauen. Dann ist es so, als würde Gottes Güte geradewegs in mein Herz hineinplumpsen. Viel öfter fällt es mir schwer. Und manchmal wird die Geschichte mit Gottes Güte für mich zum echten Ringkampf.

Zurzeit stecke ich im Ringkampf. Es ist fast so, als würde ein kleines grünes Männchen mit Riesenhänden auf meiner Brust hocken und mir hämisch grinsend die Luft zum Atmen nehmen. So, als hätte dieses Männchen das Leben aus mir herausgequetscht und den guten Gott gleich mit dazu.

Ich hänge fest in meiner Enge, in meiner Angst, in alten Bildern von Gott, die ich längst abgeworfen haben wollte. Zugleich habe ich in den letzten Monaten viele Texte geschrieben, die genau das Gegenteil sagen: Gott ist weit. Gott hat ein Herz. Gott nimmt mich an. Gott ist nicht hinter mir her. – Wie kann ich diesen guten Gott in mein Leben zurückholen, jetzt, wo ich ihn am meisten brauche?

Gott ist heute derselbe wie vor ein paar Monaten, als ich über seine Güte und Weite noch gestaunt habe. Er ist derselbe wie ganz am Anfang, wo er sprach, alles ins Leben kam und alles sehr gut war. Er ist derselbe, der damals die 5000 gespeist hat. Er ist immer noch der, der den Jüngern die Füße gewaschen und in der Nacht seiner Gefangennahme noch schnell das Ohr des Soldaten geheilt hat. Er ist der, der Maria nicht fortschickte, sich vor der Sünderin nicht zurückzog. Der, der sagte: „Ich verdamme dich nicht.“

Ich sehe vieles an mir, was ein Prüfer auf sein Klemmbrett notieren würde. Wenn Gott ein Prüfer wäre, hätte er viel zu schreiben. Das Blatt auf dem Klemmbrett würde nicht reichen. Und ich würde durchfallen. Ganz sicher.

„Ich verdamme dich nicht“ (Johannes 8,11) – sagt Gott das heute auch zu mir? Schon manchmal habe ich mich an einem Bibeltext festgehalten, der es so unglaublich beschreibt: „… und können unser Herz vor ihm zum Schweigen bringen, dass, wenn uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz und erkennt alle Dinge“ (1. Johannes 3,19.20, LUT 1984).

„Ich verdamme dich nicht. Ich bin größer.“

Dieser Zuspruch tut mir gut. Noch kommt mein Herz nicht hinterher. Noch schreit es zu viele „Aber“ dazwischen, fällt ins Alte zurück, macht Gott zum Prüfer. Doch heute und in diesem Moment werde ich ihm nicht das letzte Wort überlassen, sondern versuche, Gott zu glauben und seinem „Ich verdamme dich nicht.“

Ich will nicht vergessen, was Gott mir schon über sich gezeigt hat. Ich will es nicht hinter den dunklen Schatten der Angst verschwinden lassen. Ich will versuchen, mich an Gottes „Ich bin größer“ festzuhalten, mich in seine Güte hineinfallen zu lassen, auch wenn ich grad nicht viel spüre. Sein „Überlass dich mir“ gilt. Und ganz sicher werden auch wieder die anderen Zeiten kommen, in denen es leichter und heller wird. Heute habe ich die erste Biene gesehen. Sie freute sich an meiner Hyazinthe. Es war für mich ein Zeichen von Leben. Ein Zeichen von Hoffnung. Es bleibt nicht Winter. Der Frühling kommt. Bestimmt!

Foto: pixabay | Ellen


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


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