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Grenzen meiner Vorstellung

Vor mir liegt das Buch, das meine Alpentour angestoßen hat. Gestern Abend habe ich noch einmal gelesen, wie die Familie von München nach Venedig gewandert ist. Nur dieses Mal habe ich das Buch mit den Augen eines Menschen gelesen, der den Weg selbst gegangen ist. Wie anders das Lesen plötzlich ist!

Beim Lesen dachte ich an etlichen Stellen: „Stimmt!“ An manches hat mich das Buch auch erinnert und ich war sofort wieder an Wegpassagen und Hütten. Fast war ich aber auch enttäuscht, denn so vieles war nicht beschrieben, so vieles habe ich anders erlebt, so vieles würde ich anders beschreiben. Ich stelle fest, mein „Buch“ liest sich anders, mein Weg war anders.

Unterwegs hat jemand gesagt: „Jeder hat seinen eigenen Weg nach Venedig.“ Es stimmt, auch wenn ich nicht bis Venedig gegangen bin, sondern zum Comer See.

Wie anders man Bücher liest, wenn man die beschriebene Realität kennt! Ich muss unweigerlich an Gott und mich denken. Geht es mir mit Gott und der Bibel genauso? Was Gott verspricht, was er schreibt, ich habe ja keine Ahnung davon! Ich lese es mit meiner Brille und meiner Vorstellung der Realität, aber das Bild ist ja viel größer.

Das München-Venedig-Buch hat nicht gelogen. Trotzdem war meine Realität anders. Aber wie will ich anderen diesen Weg beschreiben, den sie nicht kennen? Selbst ein Meister des Beschreibens hat nur Worte und kann nur seine eigene Erfahrung und Einschätzung wiedergeben. Und dann ist ja auch immer die Frage: Wer liest es? Wer meinen Reiseblog gelesen hat, bekommt maximal meine erlebte Realität zu sehen. Mancher hat vielleicht gedacht: Das will ich auch mal laufen! Ein anderer aber: Das tue ich mir nicht an!

Wie subjektiv alles ist! Wie begrenzt durch mein Erleben, Interpretieren, Beschreiben. Wie begrenzt durch die Brille und Vorstellung, mit der ich etwas lese. Wie oft habe ich die Bibel gelesen und doch nicht gelesen oder zu viel hineininterpretiert? Wie nah bin ich überhaupt an der Wahrheit dran, die ich manchmal meine zu verstehen? Wie sehr stimmt mein Bild von Gott überein mit dem, wer Gott wirklich ist? Alles, was ich denke, glaube, fühle, ist so eng mit mir und meiner Persönlichkeit, meiner Geschichte, meiner Erfahrung verbunden.

Die Realität ist größer als das Buch.

Wenn Gott sagt: „Ich bin gut“ – wie kann ich das je verstehen? Ich, die auf einer Erde lebt, auf der niemand nur gut ist und auf der die Guten auch schnell böse sein können. Und selbst in meiner schönsten Phantasie von einem guten Gott komme ich sicher nie heran an die Realität. Wie soll ich begreifen, verinnerlichen, fühlen, wie gut Gott wirklich ist? Nicht umsonst stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie gut ist Gott wirklich? Und ich merke, ich kriege es nicht hin, Gott das zuzutrauen, was ich nicht kenne.

Egal wie kühn ich denke und egal wie große Saltos meine Phantasie zu machen imstande ist, ich kann Gottes Güte und Gutsein nur zu klein denken. Und egal wie sehr ich ihn zu erfassen versuche und mit welch großen Worten ich ihn beschreibe, ich werde ihn immer klein machen und ihm nie gerecht werden.

Die Realität wird immer größer sein.

Wie gut ist Gott wirklich? Meine Erfahrung stellt mir beim Beantworten dieser Frage regelmäßig ein Bein. Ich habe Gutes erlebt, ja, und auch Ungutes. Das Misstrauen in mir ist so viel lebendiger als das Vertrauen. Mir liegt das Kleindenken viel näher als das Großdenken. Und manches kann ich schlicht nicht fassen, so wie das mit der bedingungslosen Liebe, mit der uns Gott begegnet. Ich lese diesen Satz, ich schreibe ihn, aber mein Gefühl hinkt so etwas hinterher. Ich spüre, Gottes Welt ist ganz anders als meine. Ich komme da nicht mit.

Manchmal lässt mich Gott etwas von seiner Welt ahnen. Vielleicht um mir zu helfen, weil er genau weiß, wie schwer mir der Gedanke von dem guten Gott fällt. Und manchmal schafft er es tatsächlich, ein bisschen Leichtigkeit und Freude in mein Herz zu zaubern und mir für einen Moment ein Stückchen seiner Größe zu zeigen. Bevor ich wieder in meine Erdrealität abtauche.

Ich habe sein Buch. Der Weg ist beschrieben. Er ist beschrieben. Die Realität wird immer größer sein. Gott ist gut. Eines Tages werde ich verstehen, was das wirklich heißt. Bis dahin versuche ich mich im Großdenken. Damit mache ich, so scheint es mir, keinen Fehler.


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Grenzen meiner Vorstellung“

  1. Liebe Stephanie,
    danke für Deine wertvollen Gedanken zu dem, wie Du auf Deinem Lebensweg mit Gott entdeckend „ringst“. Ich stimme Dir zu, dass wir IHN nie groß genug und gut genug denken können. Mir kamen noch folgende Gedanken dazu:
    Es gibt keinen Menschen, der die Nicht-Existenz Gottes je beweisen könnte. Und es gibt keinen Menschen, der die Existenz Gottes je beweisen könnte. Beide müssen das, was sie über Gott denken, glauben. Allein zu glauben, dass es Gott gibt, ist schon ein großer Schritt des Vertrauens. Wir können uns nur dazu entscheiden, davon auszugehen, dass er ist oder dass er eben nicht ist. Du und ich wir haben die Entscheidung getroffen, darauf zu vertrauen, dass ER ist. Gott ist – das ist das, was ER dem Mose sagte, als Mose IHN fragte, was er denn dem Volk Israel sagen solle: „ICH BIN“, war die Antwort Gottes. Gott ist – das ist genug. Mehr braucht es erst einmal nicht. ER ist genug!
    Und wie ist ER? Jesus formulierte es gegenüber dem jungen Mann so: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott.“ Eine spannenden Antwort von jemanden, den wir selbst als gut bezeichnen würden.
    Jetzt dürfen wir eine zweite Entscheidung treffen neben der, darauf zu vertrauen, dass er ist: ER ist gut, durch und durch gut – völlig unabhängig, wie die äußeren Umstände in dieser Welt und unseres Lebens sind. Selbst in Anbetracht des zum Himmel schreienden Leids und der unfassbaren Ungerechtigkeit auf dieser Erde. Beides (Existenz und Wesen Gottes) ist eine Entscheidung ins Vertrauen hinein. Beides darf aber auch der Urgrund und Urhalt unseres Lebens sein. Eine zweifelsfreie Sicherheit wird es in dieser Entscheidung aber nicht geben. So stolpern wir vertrauend weiter …
    Das waren jetzt einfach ein paar Gedanken, die mir nach dem Lesen Deiner Überlegungen gekommen sind im Sinne eines kleinen Austausches. Alles Liebe Dir,
    Wolfgang

    1. Hallo Wolfgang, danke für deine Gedanken, die mich mitgenommen und weitergeführt haben. Gerade denke ich: Ich denke zu viel und vertraue zu wenig :). Aber es hat wohl beides seinen Platz und das mit dem Vertrauen ist einfach ausbaufähig … Wir bleiben unterwegs! Bis bald und danke für den Austausch!

Danke für deinen Kommentar.

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