Kerzen mit ihrem weichen Wachs faszinieren mich. Es gibt Zeiten, da sitze ich einfach nur da, schaue in die Flamme und spüre ihr warmes Wachs zwischen meinen Fingern.
Bei großen Kerzen brauche ich Geduld. Es dauert, bis die Flamme das Wachs von innen nach außen aufgeschmolzen hat. Wenn ich mir Zeit nehme, kann ich dabei sogar zusehen. Manchmal siegt aber meine Ungeduld. Dann biege ich das Äußere der Kerze in Richtung Docht herunter, sobald es etwas geschmeidiger ist. Wenn ich allerdings zu eifrig bei der Sache bin, ersäufe ich den Docht mit dieser Aktion oder das Wachs hält meinem Biegen gar nicht erst stand und bricht.
Eine Kerze hat das perfekte Maß und reguliert sich selbst – solange ich mich nicht einmische. Wenn ihr Docht lang und die Flamme groß ist, braucht sie viel Wachs und schmilzt sich die entsprechende Menge zusammen. Ist zu viel flüssiges Wachs da, wird die Flamme kleiner und das Wachs außen wieder fest. Im Idealfall brennt sie gleichmäßig herunter mit der Flamme, die ihr genau entspricht. Alles, was ich tue, stört sie. Auch wenn ich meine, ich würde ihr helfen.
Es sind die kleinen Gleichnisse des Alltags, die mich berühren. Wie oft versuche ich, Dinge zu beschleunigen! Wie oft fehlt mir die Geduld! Und wie oft helfe ich mir dann mit meinen Aktionen gerade nicht, weil eigentlich nur Warten dran gewesen wäre. Ich kann eine Kerze nicht anschubsen. Sie brennt ihr Tempo, zuverlässig und stetig, ohne jeden Stress. Sie versucht weder zu beschleunigen noch muss sie bremsen. Sie brennt herunter und leuchtet einfach dabei.
Alles hat seine Zeit. Im Kerzenleben – und in meinem. Ich will Dinge zurechtbiegen und mich. Und ich erlebe, dass dieses Bemühen eher das Gegenteil bewirkt: Ich werde verbissen und biestig. Wo ich unbedingt Erfolg haben will, werden andere zu schnell egal. Auch Gott. Er wird dann zu demjenigen, der mir und meinen Wünschen dienen darf. Und oft habe ich ja vielleicht sogar das Alibi: Es geht doch um eine gute Sache, Gott! Und dann biege ich und bemühe mich. Und manchmal will ich mir auch Gott zurechtbiegen.
Die Kerze erinnert mich daran, dass das mit dem Biegen keine gute Idee ist. Wenn ich Geduld habe, dann kann ich beobachten, dass es der Kerze ohne mein Biegen besser geht. Dass sie sich ganz allein hindurcharbeitet durch das Wachs, alles im Griff hat, immer nur das schmilzt, was sie verarbeiten kann und benötigt. Sie lädt sich nie zu viel auf und nie zu wenig. Und an die ganz harten äußeren Schichten geht sie erst heran, wenn sie alle anderen Millimeter vorher durchschmolzen hat.
Manchmal will ich zu viel. Manchmal will ich alles auf einmal schaffen, wissen, sehen, verstehen. Die Kerze lebt anders. Millimeter für Millimeter für Millimeter. In ihrem Tempo. Und wenn ich sie auslösche und morgen wieder anzünde, geht sie auch morgen wieder in ihrem Tempo genau denselben Weg. Millimeter für Millimeter.
Jetzt könnte man sagen, sie gehorcht den Naturgesetzen. Sie ist kein Mensch. Wir Menschen können mehr. Und das stimmt! Trotzdem finde ich, eine Kerze ist irgendwie weise. Ein Ruhepol. Und tatsächlich, wenn ich mich hinsetze und einer Kerze beim Brennen zusehe, werde ich ruhig. Manchmal mache ich das ganz bewusst, wenn es mir nicht gutgeht. Dem Flackern zuzusehen holt mich herunter von meinem Ross und weg von meinen Biegen-und-Brechen-Versuchen. Ich lerne zu sein, auch, in Gottes Gegenwart zu sein.
Vielleicht sagt Jesus nicht umsonst: „Ich bin das Licht der Welt“.
Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.
Die wichtigste Übung ist Ziellosigkeit, nicht hinterherlaufen, nicht greifen. – Dieser Satz hat mir gefallen, ich weiß nicht, wer ihn gesagt hat.
Der Gedanke gefällt mir. Danke dafür!