Sein wie Jesus, ich finde das schwer. Mit manchen Dingen aus Jesu Leben kann ich mich problemlos identifizieren, andere dagegen fordern mich mehr als heraus.
Zwischen Berg und Brennpunkt
Ich lese, wie Jesus sich in seine Stillen Zeiten mit dem Vater zurückgezogen hat. Ich liebe diese Stellen, die beschreiben, dass er frühmorgens noch vor Tage hinausging, um zu beten (Mk 1,35), oder abends allein auf einen Berg stieg (Mt 14,23). Ich stelle mir vor, wie sehr Jesus diese Stille genoss – vor dem Tag und nach dem Tag – und wie er im Abend- und Morgenlicht nachdachte, den Orten beim Einschlafen und Erwachen zusah, mit dem Vater redete.
Es sind friedliche Szenen, in denen ich voll dabei bin und das Unterwegssein mit Jesus genieße! Vielleicht, weil das einfach meins ist: Allein in den Bergen. Allein im Morgen- und Abendlicht. Allein mit Gott.
Aber dann zieht Jesus los, mitten hinein ins Leben, und ich merke: Ich will lieber auf dem Berg bleiben, Frieden und Stille festhalten! Das Leben im Tal ist so anders. Jesus steigt trotzdem hinab. Er sucht die Brennpunkte. Die Armen und Schwachen, die Ausgegrenzten und Abgestempelten, die Problemkinder und Sünder, auch die Schriftgelehrten mit ihren Endlosdiskussionen und die Pharisäer, die seine Worte verdrehen.
Jesus sucht die Brennpunkte, ich meide sie. Ich gehe Diskussionen lieber aus dem Weg und Not macht mich irgendwie hilflos. Dann doch lieber der Berg, die Bibliothek, mein Schreibtisch und Eins-zu-eins-Begegnungen, die in die Tiefe gehen. Das ist eher meine Welt.
Vielleicht darf es meine Welt sein. Nicht jeder ist als Mutter Teresa geschaffen, nicht jeder als diskutierender Theologe. Vielleicht aber auch nicht jeder als Zuhörer und Vertrauter, nicht jeder als Schreiber.
Lege ich mir gerade etwas zurecht? Jesus wäre vermutlich auch lieber auf dem Berg geblieben oder einfach bei Lazarus zum Essen eingekehrt.
In mir bleibt die Frage, ob ich Jesu Lebensart eins zu eins in mich hineinprügeln soll. Ist „Sein wie Jesus“ so gemeint? Auch zu Jesu Zeiten und in denen der Apostel waren die wenigsten wie Jesus. Natürlich, Paulus hat sich durchaus in Kontroversen gestürzt, aber vielleicht muss man dafür auch eine besondere Spezies sein. Ein Paulus bin ich sicher nicht.
Auf meine Art wie Jesus
Schon manchmal habe ich mich gefragt: Wie würde Jesus als Stephanie im 21. Jahrhundert leben? Was würde er morgens anpacken, wenn sein Wecker klingelte, was würde er liegenlassen? Welchen Platz im Leben würde er hier, wo ich wohne, ausfüllen?
Auf meine Art wie Jesus sein. Darf ich das? Wie will Gott Menschen durch mich segnen? Wenn er schlau ist, schickt er mich nicht mitten hinein in einen theologischen Disput und auch nicht wahllos in einen sozialen Brennpunkt.
Wie Jesus. Auf meine Art. Vielleicht gibt es sogar Menschen, für die das Alleinsein mit Gott draußen in der Dämmerung eine Strafe ist. Der Gedanke ist mir noch nie gekommen. Und ganz sicher gibt es Menschen, denen Gott die sozialen Brennpunkte aufs Herz legt und die dort ihre Erfüllung erleben.
Ich kann nicht alles und ich muss nicht alles können. Trotzdem weiß ich: Das ist kein Alibi zum Nichtstun und Wegschauen. Aus der Komfortzone holt Leben mit Gott wohl immer heraus. Dennoch darf ich sein wie ich bin und als Christ mir entsprechend leben.
Der Gedanke macht mich freier. Er lenkt mich weg von dem „Du solltest“ und dem schlechten Gewissen, dass ich nicht so wie Jesus bin. Ich weiß, dass ich an vielen Stellen fehle, so hätte es mein Opa ausgedrückt. Ich bin da, aber ich fehle. Ich kann das, was so gut und passend wäre, so nötig, nicht füllen. Ich kann es nicht. Ich bin begrenzt und es liegt nicht nur am Wollen.
Jesus wollte uns nie ein schlechtes Gewissen machen. Er wollte durch sein Leben zwischen Stille und Brennpunkten keinen Druck aufbauen. Er wollte uns vor allem zeigen, wie Gott mit uns Menschen umgeht. „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ (Johannes 14,9) Jesus hat nie gesagt, wir müssten das Leben können. Im Gegenteil, er hat sehr viel Zeit mit Menschen verbracht, die Leben nicht konnten.
Bei ihm
Nicht Versteckspiel, sondern Nähe. Das wollte Jesus. Das wollte Gott schon im Garten Eden, als Adam und Eva sich beschämt versteckten. „Wo bist du?“ Es ist noch immer dieselbe Frage.
Wo bist du?
Herr, ich habe mich mal wieder verkrochen. Ich denke, ich sollte so viel … will nur die Stille auf dem Berg, und fürchte mich vor dem Leben im Tal. Ich fühle mich so feige, so nutzlos, so falsch.
Komm zu mir.
Ich bin doch schon da.
Nicht ganz. Du bist mit dir beschäftigt und dem, was in deinen Augen ein Problem ist.
Ist es denn kein Problem?
Nicht, wenn du bei mir bist.
Was wäre, wenn nichts ein Problem wäre, solange ich in Gottes Nähe bin?
Vielleicht ist es ja gerade das verzweifelte Bemühen, das beschämte Versteckspiel, das mich eben nicht verändert, sondern kleinhält. Und vielleicht ist es am Ende nur das Sein in der Nähe Jesu, mit all dem, was ich bin und nicht bin, das mich meinen Platz in dieser Welt finden lässt. Sein wie Jesus. Auf meine Art.
Foto: pixabay | Plukje
Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.