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Retter oder Bedrohung

Aus einer Heilung am Sabbat wird eine Verfolgungsjagd mit Kirchenausschluss und Jesus wird zum Übeltäter deklariert (Johannes 9). Wie irre! Es ist eine verkehrte Welt, die die Pharisäer da konstruieren. Ich schüttele den Kopf. Wie können Regeln wichtiger sein als Menschen – und wie kann plötzlich die Person zur Bedrohung werden, die eigentlich Retter sein will?

Gott als Bedrohung, nicht als Retter. Der Satz trifft mich. Wie tief das auch manchmal in mir steckt. Es ist anders als bei den Pharisäern, aber es ist da. Denn ich will ja, dass Jesus mich rettet! Zugleich habe ich Angst vor dem, was Gott von mir denken und wollen könnte. Dass er zu viel will und Erwartungen hat, die ich nicht erfüllen kann. Dass er enttäuscht ist, sich von mir abwendet.

Ich bin weder Vorzeigechrist noch Glaubensheldin. Mein Glaube ist deutlich kleiner als ein Senfkorn und mehr Stolpern als Wandeln. Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt glaube – und ob das Gott reicht. Wenn ich Gott wäre, würde es mir ganz sicher nicht reichen.

Immer wieder falle ich auf meine menschlichen Gedanken und Erfahrungen herein, übertrage sie auf Gott. Wie schnell wird Gott dann zum Erbsenzähler, Moralapostel, Antreiber und zum Geschäftsmann, der nur auf Gewinn aus ist. Und dann denke ich: Ja, Gott tut etwas für mich, sogar sehr viel, aber er will dafür auch etwas sehen: Glauben, Dankbarkeit, Missionseifer, Selbstverleugnung.

Wie gut ist Gott? Wie gut ist er wirklich?

Ich beobachte meine Freundin, die gerade Mama geworden ist. Geduldig trägt sie ihr schreiendes Bündel durchs Wohnzimmer. Von links nach rechts, von rechts nach links. Der Kleine schreit lange, ihr liebevoller Blick verändert sich nicht. Ihr einziges Interesse: dass es ihm gut geht. Als ich kurze Zeit später sehe, wie sie den erlösenden Pups feiert, muss ich lachen. Den Pups! – Was wäre, wenn Gott uns genauso begegnet, wenn er einfach nur gut zu uns ist?

Gott als Retter, Gott als Bedrohung. Gott wollte nie, dass wir vor ihm wegrennen. Er wollte uns nie kaputtmachen, kleinmachen, ausnehmen. Er wollte und will für uns sein. Trotzdem kann ich es oft nicht glauben. Es ist meine persönliche Geschichte mit dem Thema Vertrauen. Ich bin nicht ohne Grund so. Vielleicht steckt auch noch das DDR-Kind in mir: „Aufpassen! Vorsicht! Still!“ Ich bin auf Misstrauen in Hab-Acht-Stellung trainiert.

Szenenwechsel. Ich sehe mich in der Sonne auf einer Bergwiese liegen, die Augen geschlossen, die Arme ausgebreitet. Der Wind streicht mir über die Haut. Ab und zu fliegt ein dicker Brummer über mich hinweg. Die Grashalme kitzeln im Takt meine Füße, über mir der blaue Himmel. Ich bin sicher und behütet, für einen Moment liege ich mitten im Vertrauen. Alles ist gut.

Vertrauen wächst nur langsam. Es gelingt Gott, mir Stück für Stück zu zeigen, dass er anders ist. Beziehungen, in denen ich mich aufgehoben fühle, helfen mir. Manchmal gelingt es mir dann, diese guten Erfahrungen auf Gott zu übertragen. An guten Tagen. An anderen flüchte ich. Aber nicht mehr ganz so weit wie früher. Nicht mehr ganz so schnell. Ich lerne, wachse langsam hinein ins Vertrauen.

Dass ich Gott als Bedrohung sehe, er Gegenstand meiner Angst ist, dafür kann er nichts. Er leidet mit. Er rennt mir hinterher. Gibt mir Freiheit. Geht sanft mit mir um. Ohne Vorwurf. Er baut mein Versagen und meine Verhaltensmuster nicht als Hürde zwischen uns auf. Ich muss nichts, was ich nicht kann. Und Gott weiß, was ich kann. Besser als ich.

Gott macht alles richtig. Er ist Retter, Heiland und gut, wirklich gut. Ich darf aufatmen.

Foto: pixabay | Michaela


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


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