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Nie genug

Die Apostelgeschichte ist nicht so mein Buch. Paulus, der Haudegen, bringt mich in Bedrängnis. Vermutlich würde er nicht zu den ersten gehören, denen ich im Himmel einen Besuch abstatte. Der Jünger Johannes wäre in der Rangliste ganz sicher weiter oben.

Paulus ist mir an vielen Stellen zu hart, zu unsensibel, zu provokant, zu direkt. Ich weiß, dass ich damit nur eine Seite von ihm sehe. Zu seinen Gemeinden war er geradezu väterlich. Nur zu den Juden, seinen alten Gemeindegenossen, war er manchmal ganz schön grantig. Finde ich. Ein bisschen Diplomatie hätte nicht geschadet. Aber vielleicht auch nicht geholfen. Jesu Umgang mit den Pharisäern war ja zuweilen auch rau und grob.

Ich merke, ich bin anders. Ganz anders. Und ich brauche es auch anders, das Evangelium. Vor Haudegen nehme ich eher Reißaus. Ich will nicht überzeugt werden, in Debatten enden und mir am Ende dumm vorkommen, nur weil ich anders denke. Ich bin offen und neugierig, ja, ich lerne gern dazu. Aber ich will selbst entscheiden, was ich denke und glaube. Ich will überzeugt sein, freundlich mitgenommen werden, aber nicht überredet werden. Und so lebe ich auch meinen Glauben. Vorsichtig, zurückhaltend, taktvoll. Vielleicht manchmal zu sehr.

Leute wie Paulus wecken daher schnell mein schlechtes Gewissen. Sie aktivieren meine Nicht-genug-Angst, die dann ganz schnell am Schreien ist: „Du tust nicht genug für Gott. Du redest nicht genug von ihm. Du glaubst nicht genug. Bei dir merkt man doch gar nicht, dass du Christ bist!“

Gegen Paulus schneide ich schlecht ab, richtig schlecht. Ich bin nicht evangelistisch, mutig schon gar nicht und ich bin sehr darauf bedacht, nicht anzuecken oder zu enttäuschen. Stehvermögen für Gott, Fehlanzeige.

Nicht genug. Nie genug. Ob Paulus dieses Gefühl kannte? Ob er auch manchmal zu anderen geschielt hat und im Sumpf des Vergleichens untergegangen ist wie ich es gerade tue?

„Lass dir an meiner Gnade genügen“ – genau das sagt Gott zu Paulus (2 Kor 12,9). Vielleicht war das mit dem Genügen ja für Paulus doch ein Thema? „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ In deiner Schwachheit, Paulus, nicht in deiner Stärke.

Wie gern wäre ich stark. Wie gern würde ich meine Grenzen sprengen. „Lass dir genügen.“ Wie gern wäre ich machtvoll Zeuge für Gott. Wie schön wäre es, wenn ich gut reden könnte. „Lass dir genügen.“ Wie gern wäre ich ein bisschen weniger Mensch und ein bisschen mehr Gott … liebevoller, geduldiger, gütiger … „Lass dir an meiner Gnade genügen.“ Und mir fällt direkt das „Aber“ dazu ein, doch Gott unterbricht mich liebevoll und sagt mir: „Lass dir genügen. Dir ist es nicht genug, aber mir ist es genug. Meine Kraft vollendet sich in deiner Schwachheit.“

Bin ich genug? Tue ich genug? Glaube ich genug? Liebe ich genug? Die Antwort auf jede dieser Fragen lautet wohl: „Nein.“ Ich bin nie genug, tue nie genug, glaube nie genug und über meine Liebe rede ich lieber gar nicht erst. Nie genug. Das ist der Stempel, der auf meinem Leben sitzt. Und auf dem von Paulus.

„Lass dir an meiner Gnade genügen.“

Es zählt nicht, was ich bin. Es zählt nicht, was ich tue. Am Ende zählt das, was Gott ist und tut. Gnade. Für einen Paulus. Und für mich.

Das Messen mit Paulus bringt mich nicht weiter. Paulus war Paulus. Ich bin ich. Er war zu seiner Zeit und an seinem Ort genau der Richtige. Und vielleicht bin ich heute hier genau richtig. Was uns verbindet, ist unser „Nie genug“, das uns vor allem dahin bringt, immer wieder mutig an Gottes Pforte zu klopfen und zu sagen: „Gott, ich brauche. Ich brauche deine Gnade.“ Und Gott diskutiert dann nicht. Er lässt mich hineinschlüpfen in seine Gnade und ich darf wissen: Seine Gnade ist genug.

Foto: pixabay, congerdesign


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


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