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Was für ein Sabbat

Sabbat. Ich wache noch vor dem Wecker auf und merke, ich habe so gar keine Lust zu laufen. Heute ist eigentlich der Tag, auf den ich mich gefreut habe, denn endlich soll wieder eine Gutwetterphase beginnen samt blauem Himmel und Sonne. Trotzdem hält mich heute die Schwerkraft im Bett fest. Irgendwann blicke ich aus dem Fenster und sofort sind meine Lebensgeister geweckt: Die blaue Stunde ist in vollem Gang! Keine Wolke am Himmel, längst noch kein Tageslicht, aber der Tag kündigt sich an. Der Himmel ist wolkenfrei und in blau und violett getaucht, die schneebedeckten Bergmassive vor mir in ihren Konturen deutlich zu erkennen – und die ersten Spitzen leuchten mir orange entgegen. Was für ein Bild!

Ich bleibe am Fenster, beobachte, wie der Tag langsam Farbe bekommt, die orangen Spitzen „wachsen“ und das Licht die Berge immer mehr erobert. Die Sonne steigt höher, die Schatten sinken tiefer. Und die Silhouette der Berge, hinter der die Sonne vorkommt, wirft sich wie ein Spiegel an die Berge vor mir. Der Tag hat mich überrascht. Gott hat es mal wieder geschafft.

Seit vier Wochen laufe ich jetzt und an manches habe ich mich schlicht gewöhnt. Manche Schönheit sehe ich längst nicht mehr. Und doch, immer wieder bin ich am Staunen. Und manchmal gibt es solche Überraschungen wie den heutigen Morgen. Das war wohl die Sabbatüberraschung!

Trotzdem fällt es mir schwer, nach dem Frühstück aufzubrechen. Vielleicht ist die Herausforderung heute aber auch, dass ich nicht weiß, wo ich schlafen werde. Auch ist heute so ein Tag, an dem ich laufen kann, aber keine Strecke schaffen muss. Die Hütte für morgen habe ich gebucht, aber ich brauche sozusagen anderthalb Tage dorthin. Heute kann ich also laufen, wonach mir ist und Abstecher zur Genüge einbauen. Auch merke ich mal wieder, es ist Sabbat. Und Sabbats bin ich in Gedanken irgendwie mehr zu Hause, frage mich mehr, was ich hier tue.

Ich stapfe los. Mit Bus und Bahn wär ich noch heute am Comer See. Und könnte morgen zu Hause sein. Eigenartig, wie mich manchmal Sehnsucht und Heimweh überfallen. In jedem Fall merke ich, was mir hier fehlt und ich spüre, ich freue mich wirklich wirklich wirklich auf zu Hause. Vor Beginn meiner Tour hatte ich fast ein bisschen Angst, dass mir die Berge und das Unterwegssein zu sehr gefallen. Die Angst habe ich nicht mehr! Und eigentlich freue ich mich darüber.

Nach Hause fahren, diskutiert mein Kopf, ist aber nun wirklich keine Alternative. Jetzt bin ich vier Wochen gelaufen. Will ich vier Tage vor meinem Ziel etwa das Handtuch werfen? Ich muss mal wieder lächeln über mich. Laufen ist vielleicht eine gute Therapie …

Nach einer Stunde bin ich dann warmgelaufen und der Weg wird schöner. Auch meine Gedanken sind jetzt wieder positiv. Ich singe sogar. Als ich überraschend auf ein wasserreiches Hochtal stoße, bin ich einfach nur dankbar und mal wieder voll Staunen. Überall Wasserläufe, die zusammenfinden, weitersprudeln. Überall Grün. So viel Leben! Psalm 23 hüpft in mein Herz und ich denke: Das ist Überfluss! So viel will Gott mir schenken. So viel schenkt er mir jetzt! Wow!

Ich habe beschlossen, heute Abend mein Zelt irgendwo aufzustellen, wo ich bin. Keine Hütte. Die Hütte, wo ich erst schlafen wollte, will hundert Euro für Nacht und Verpflegung. Das ist mir zu viel. An sich wollte ich ja eh mal richtig draußen schlafen in der Wildnis. Und das Wetter passt. Insofern schaue ich nach der Mittagspause am Lago Palu gezielt, wo ich mein Zelt gut positionieren und verstecken könnte. Gar nicht so einfach! Ich habe auf der Landkarte einige Spots ausgemacht. Die meisten davon sind eher unbrauchbar. Wiese und ein bisschen flaches Gelände brauche ich. Und ein bisschen Aussicht wäre auch gut samt Nähe zu Wasser. Außerdem will ich nicht extra fürs Schlafen weit aufsteigen. Es kostet unnötig Kraft und je weiter oben ich bin, desto kälter wird es.

Für mich ist es Premiere. Die Zeltplätze bis jetzt waren Übung. Gegen drei finde ich, was ich suche. Es stehen zwar auch Hüttchen in der Nähe, aber sie sind hoffentlich weit genug weg. Jetzt heißt es warten, denn das Zelt baue ich erst bei Einbruch der Dunkelheit auf und morgen dann auch zeitig wieder ab. Ich setze mich ein Stück weiter an Steine; sie sind so schön warm von der Sonne. Nebenbei beobachte ich den „Verkehr“ an meinem Zeltplatz. Er scheint günstig zu liegen.

Es ist Abend und ich will schon loslegen mit dem Aufbau, da kommen plötzlich Kuhglocken näher. Kurz darauf gucken mir Kühe ins Gesicht. Mist. Ich habe zwar gesehen, dass der Platz alte Spuren trägt, aber fest damit gerechnet, dass sie nicht heute hier auftauchen. Sie waren doch den ganzen Nachmittag weiter unten. Ich überlege und merke, mein Schlafplatz ist weg. Seufzend sammle ich meinen Kram ein und steige nun doch höher. Weiter unten ist nichts, das weiß ich. Aber wie schnell werde ich eine gute Fläche finden? Auch ist mir klar, die Kühe werden wandern, vermutlich auch in die Höhe. Ich brauche deutlichen Abstand und irgendetwas, was nicht Kuhweide ist.

Ich laufe los. Es dämmert längst. So hatte ich mir den Abend nicht vorgestellt. Ab und zu finde ich am Weg lichten Wald und Wiese, immer garniert mit Kuhfladen. Die Zeit rennt mir davon. Irgendwann wieder ein Stück lichter Wald. Ich laufe vom Weg weg und hinein. Vielleicht ist da ja … Anfangs noch Kuhfladen, aber vielleicht kommen sie ja nicht so weit hoch heute. Dann entdecke ich dahinter einen schmalen, ebenen Streifen Wiese am Hang, gut hinter Büschen versteckt. Mein schmales Zelt müsste genau darauf passen. Ich fackel nicht lange, sondern baue auf. Das geht mir inzwischen fix von der Hand. Auch die Heringe gehen gut in den Waldboden. Ich staune, wie schnell ich am Ende alles aufgebaut und fertig für die Nacht habe. Der Platz ist gut; vermutlich sogar besser als der unten. Ich bin gut versteckt, kann morgen früh also auch ganz in Ruhe machen, und finden wird mich hier niemand. Gegen halb neun krieche ich ins Zelt. Immer wieder lausche ich auf die Kuhglocken. Kommen sie näher? Manchmal scheint es so, dann ist es wieder ganz still. Ich versuche mich zu entspannen. Schaue noch ein bisschen aus dem Zelt auf die Berge und den Himmel, der dunkler wird. Dann versuche ich zu schlafen.

Die Nacht ist ungewöhnlich hell. Ich habe mich auf echte Dunkelheit eingestellt, aber so wirklich pechschwarz wird es nicht. Der Mond? Vermutlich. Ich bin zu faul zum Gucken. Den Mond hatte ich wirklich nicht auf dem Schirm.

Die Kühe lassen mir in dieser Nacht meine Ruhe und auch sonst höre ich nur ein paar Käuzchen und den Wasserfall. Irgendwie ist es schön, ganz draußen zu sein. Ich freue mich, dass ich es einfach gewagt habe. Und dass Gott mir spontan dann doch noch das bessere Schlafplätzchen verpasst hat. Was für ein Sabbat!


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Was für ein Sabbat“

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