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Eine Stunde unter Schafen

Ohne Ruhe geht’s nicht. Eigentlich ist Ruhe Pflicht. Ohne Aber. Über Schafe und andere Orte, an denen ich meine Ruhe wiederfinde.

Die echte Welt ruft

Die letzte Fortbildungseinheit diese Woche war richtig gut. Jetzt bin ich schlauer – und zertifizierte Lektorin. Doch die zwei Tage Videokonferenz waren auch anstrengend. Zu viel Bildschirm benebelt mich.

Am Montag bin ich abends einfach nur raus, wollte laufen, andere Dinge vor die Augen bekommen. Hängengeblieben bin ich wenig später bei den Schwarzkopfschafen am Waldrand. Und da saß ich eine Stunde im Gras am Weidezaun und hatte ganz anderes Kino.

Echte Welt.

Schafwelten

Drei Schafe liegen auf ihrer Wiese, neben einem schmalen, kastenförmigen Holzanhänger mit Dach. Eins links davon, eins davor und eine Schafdame hat sich entschieden, direkt in den Anhänger zu steigen. Sie hat es sich darin bequem gemacht, ihren schwarzen Kopf mit den Schlappohren lehnt sie an die Wand, käut vor sich hin. Ab und zu öffnet sie die Augen, sieht mich an. Unbeeindruckt.

Vor dem Anhänger liegt die Ausnahme der Schwarzkopfherde: ein weißes Schaf. Ab und zu sieht es hinauf zum Schwarzkopf in den Anhänger. Ansonsten starrt es einfach ins Gras, in die Gegend – und käut ebenfalls vor sich hin. Eine Stunde lang. Auch dieses Schaf lässt sich von mir nicht stören.

Zwei Mutterschafe und ihre Lämmer gehören ebenfalls zur Herde. Sie grasen, ab und zu trinken die Lämmer, dann liegen sie wieder alle zusammen und gucken in der Gegend herum.

Schafe auf einer Weide, die ruhen

Hier sein

Ich genieße es, dass die Schwarzköpfe sich nicht von mir stören lassen, sondern einfach ihr Ding machen. Weiterkäuen. Weitergucken. Sie sind ganz bei sich. In ihrer Welt gibt es gerade nur diese Wiese, diesen einen Moment.

In meiner eigentlich auch. Und doch, wie schnell bin ich in Gedanken im Vorhin und im Nachher, nicht hier auf dieser Wiese, sondern zu Hause, bei der Einkaufsliste oder beim Gemeindewochenende.

Und doch, es gibt gerade nur diese Wiese und diesen einen Moment. So selten mir das Hiersein gelingt, die Schafe schaffen es, mich in diesen Moment ihres Lebens hineinzuziehen und ganz da zu sein, alles andere einfach zu vergessen.

Vermutlich hat Gott nicht umsonst auf die Erschaffung von Bildschirmen verzichtet. Er hätte Adam und Eva problemlos am ersten Tag ein Smartphone in die Hand drücken können, inklusive Netz in himmlische Welten. Stattdessen setzt er Adam und Eva in ein analoges Paradies voller Pflanzen und Tiere. Leben zum Anfassen. Leben im Hier, nicht in fernen Welten.

Das Leben in der echten Welt tut mir gut. Schafe, die nichts weiter tun, als zu kauen. Blauer Himmel, über den Wolken ziehen. Im Wind raschelndes Walnusslaub über mir.

Ruheorte

Oft verliere ich mich in meiner Welt, verirre mich in digitalen Räumen, Einkaufslisten und all den Anforderungen, die an mir zerren. Und ich lasse mich mitzerren. Hier bei den Schafen zerrt nichts an mir.

Ruheorte. Die Schafzeit ist ein Geschenk. Anderen beim Kauen und Ruhen zuzusehen hilft mir, mein Gerenne und Geklicke sein zu lassen. Die Welt dreht sich ohne mich weiter. Und wenn ich wieder bei mir bin und ruhig, bin ich doch meinen Mitmenschen viel nützlicher, als wenn ich einfach kopflos mitrenne.

Eine Stunde Schaftherapie am Tag, das wär’s! Ich weiß aber, es gibt noch viele andere Möglichkeiten, Ruhe zu finden. Natur vollbringt bei mir oft Wunder, Zeit in der Hängematte, mit einem guten Buch oder mit Freunden auch. Oder eine Stunde mit Gott auf dem Sofa.

Ruhe ist Pflicht

Jesus war mit seinen Jüngern nicht nur on Tour, er hat ihnen auch Ruhe verordnet. „Ruht ein wenig!“, sagt er ihnen in Markus 6,31. Mit diesen Worten schickt er sie an einen ruhigen Ort und weg von dem Trubel und den Menschen. Vielleicht zu Schafen?

Als Mach-Mensch muss ich mir Ruhe immer wieder verordnen. Ich brauche Ruhe. Ohne Ruhe werde ich verrückt. Ruhe verleiht mir den nötigen Abstand und erstaunliche Klarheit.

Gott weiß das. Und verordnet Ruhe. Nachtruhe. Sabbatruhe. Wo wäre ich ohne diese Zäsuren?

Ich will mich öfter zur Ruhe mahnen. Eigentlich ist sie Pflicht. Gott schreibt sogar ein extra Gebot dafür! Und ich selbst spüre ja: Beim Ruhen kann ich nur gewinnen.

Die Schafe werden mich jedenfalls jetzt öfter sehen … Danke, Gott, dass du mir Ruhe schenkst.

Foto: pixabay | Dave Francis, privat


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Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


Ein Gedanke zu „Eine Stunde unter Schafen“

  1. Pingback: Ich bin Gottes Lotte • Der gute Hirte und ich

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