Gibt es Engel? Wie sehen sie aus? Manchmal muss mir Gott die Augen dafür öffnen, dass seine Engel nicht immer so aussehen, wie ich mir das denke.
Ich sitze bei meiner alten Nachbarin. Seit acht Jahren wohnen wir zwar nicht mehr in diesem Mehrfamilienhaus, aber ich kehre regelmäßig hierher zurück. Dass dieser Ort immer noch Heimat für mich ist, daran ist auch meine Nachbarin schuld.
Sie wohnt im zweiten Obergeschoss und wird bald 89. Wie ich ist sie gern draußen unterwegs. Vieles geht jetzt nicht mehr. Sie humpelt, im Flur steht der Rollator. Zugleich funkelt mir pure Freude aus ihren Augen entgegen, als sie mich zur Tür hereinlässt.
Ich genieße ihre herzliche und feste Umarmung. Es ist nicht die letzte an diesem Nachmittag. Wir tun uns beide gut. Schnell sind wir im Gespräch und fast ist es so, als wäre ich nie fortgewesen. Wie sehr man bei Menschen zu Hause sein kann.
Engel sind praktisch
Manche Menschen sind Engel. Sie war es schon damals. Fürs Haus war sie immer die Hausoma. Sie wusste über alles Bescheid und wenn wir unseren Schlüssel mal wieder in der Wohnung vergessen hatten, war sie die Rettung, denn wir hatten einen Ersatzschlüssel bei ihr geparkt.
Im Urlaub war sie immer unser Garant für einen geleerten Briefkasten und außerdem fürs Überleben meiner Blumen zuständig. Nicht selten kamen wir aus dem Urlaub zurück und die Blumen sahen besser aus als vorher. Als wären sie auf Kur gewesen. Sie hat eindeutig den grüneren Daumen.
Es hat mir immer gutgetan, dass ich zu ihr kommen konnte, wie ich wollte. Nie hat sie mir den Eindruck vermittelt, ich solle sie öfter besuchen kommen, öfter an sie denken. Selbst jetzt, wo ich mich nur zweimal im Jahr melde: Wenn ich komme, bin ich da und sie freut sich – wenn nicht, ist es auch okay.
Engel tun gut
Mich erstaunt, wie gut sie mir gerade tut, einfach durchs Zusammensein. Tatsächlich schiebe ich den Besuch nämlich schon eine Weile vor mir her. Es hat immer nicht gepasst, dann war die Arbeit, dann waren immer schon so viele Termine … diesen Termin habe ich jetzt einfach gemacht.
Als ich mich drei Stunden später verabschiede, bin ich beschenkt. Nein, ich habe nicht mehr im Gepäck als vorher und habe dieses Mal auch keine Kekse bei ihr gefuttert. Aber mein Herz tanzt. Ihre Freude über meinen Besuch hat mich froh gemacht und es war schön, ein Stück Leben mit ihr zu teilen.
Meine alte Nachbarin ist für mich ein Engel, einer mit Rollator. Ich bin dankbar für sie. Wie gut solche Begegnungen tun! Für mich ist sie damals wie heute ein Gottesgeschenk. Dabei ist sie gar nicht fromm – sie ist einfach nur Mensch. Und das tut gut.
Engel erinnern an Gott
Ob Gott wie gute alte Nachbarn ist? Ganz sicher hinkt der Vergleich. Trotzdem ist Gott der, bei dem ich jederzeit klingeln kann.
Und der, der mich mit lachenden Augen erwartet und seine Arme für mich ausbreitet.
Ein Zuhause zu haben und Menschen, die mir Zuhause sind, ist nicht selbstverständlich. Es ist ein Geschenk. Ich bin schon ein Stück gegangen, da drehe ich mich noch einmal um. Vom Balkon winkt es beschwingt. Ich winke fröhlich zurück. Lächelnd. Dankbar. Ja, es gibt Engel mit Rollator!
Foto: pixabay | Anja
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Stephanie Kelm
ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.
grade deinen Blog gelesen, herrlich wie du schreibst, schön, dass ich nun mehr von dir lesen kann, Gruss ich – Traudel
Liebe Traudel, schön, dass du mich gefunden hast! Liebe Grüße!