Zum Inhalt springen

In die Freiheit

Ich liebe die Freiheit – und mag mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn die Mauer 1989 nicht gefallen wäre. Trotzdem, Gottes Freiheit ist so viel mehr.

Ein Donnerstag wie heute

Dass es ein Donnerstag war wie heute, weiß ich nur, weil ich gerade danach gegoogelt habe. Damals war ich acht und ging in die dritte Klasse. Trotzdem begriff ich irgendwie die neue Wahrheit an jenem 9. November: Wir durften jetzt dorthin, wo wir bisher nicht hindurften – in den Westen!

Während andere sofort die Chance ergriffen und hinfuhren, blieben meine Eltern erstaunlich zurückhaltend. Ich weiß nur noch, dass wir auf der Autobahnbrücke standen und ungläubig den Stau beobachteten, der sich von der Grenze bis zu uns nach Magdeburg über die A2 zog.

Doch als wir als Familie dann endlich stolz den Weg mit unserem roten Wartburg antraten, war uns bei diesem Besuch allen feierlich zumute. Ich selbst hatte eine Art Schlaraffenland aus bunten Filzstiften, Nutella und Apfelsinen im Kopf, meine Eltern garantiert ganz andere Dinge.

Es ist nicht selbstverständlich

Noch heute habe ich Gänsehaut, wenn ich auf der A2 an dem ehemaligen Grenzübergang Marienborn vorbeifahre. Dass sich diese Grenze an jenem 9. November abends wirklich geöffnet hat, ist alles andere als selbstverständlich. Je älter ich werde, desto mehr wird mir das bewusst.

Mittlerweile weiß ich von den Friedensgebeten und Montagsdemonstrationen, von der Stasi und den Wanzen in der Wand. Ich weiß davon, was meinen Eltern in der DDR alles nicht möglich war, nur weil sie Christen waren. Und davon, welchen Schikanen mein Vater als Bausoldat ausgesetzt war.

Freiheit. Ich schmecke dieses Wort. Jedes Westpaket hat danach gerochen. Und wenn ich heute einfach mal so in die Alpen oder nach Schweden in den Urlaub fahre, dann ist mir doch auch bewusst: Wenn es die DDR noch gäbe, wäre mir das unmöglich.

Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit. Als Deutsche bin ich privilegiert. Ich muss nicht um mein Leben fürchten, weil ich kein Kopftuch trage, wie Frauen im Iran. Der Besitz einer Bibel ist nicht strafbar wie in Nordkorea.

Ich darf diesen Blog und über Gott schreiben – und niemand zensiert das. Das ist nicht selbstverständlich. Freiheit ist nie selbstverständlich.

Ein Gott der Freiheit

Ich denke an Gott und daran, dass er ein Gott der Freiheit ist.

Was mich dabei fasziniert: Für Gott ist Freiheit nichts Egoistisches, etwas, das er unbedingt für sich durchpeitschen will. Freiheit ist vielmehr ein Raum, in dem Vertrauen und Liebe wohnen und Zerbrochenes und Verwundetes heil werden kann.

In Jesaja 61,1 spricht Gott von Freiheit und dem Messias, der gesandt ist, „den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen“.

Was für ein Gott! Was für eine Art von Freiheit!

In der westlichen Welt sind wir heute in vielerlei Hinsicht frei. Sieht man genauer hin, gibt es jedoch zahllose Unfreiheiten und viele Menschen sind alles andere als frei. Der goldene Westen, in den wir uns damals 1989 aufgemacht haben, bietet viele Möglichkeiten – das Paradies ist er nicht.

Gott, ich sehne mich so sehr nach deiner Freiheit, nach deinem geschützten Raum, in dem jeder Platz haben darf!

In Gottes Freiheit eintauchen

Es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Es ist fast wie damals, als wir in den Westen gefahren sind und wir keine Ahnung von der Fülle hatten, die uns in dem riesigen Allkauf in Braunschweig erwarten würde.

Fülle. Gottes Freiheit ist Fülle an Liebe und Vertrauen, an Achtsamkeit und Unterstützung. In Gottes Freiheit habe ich Platz und darf sein. In Gottes Freiheit darf ich wissen: Egal was ist, er ist mit mir. In seiner Freiheit bin ich aufgehoben. In seiner Freiheit darf ich leben.

Gott ist kein Diktator. Er presst mich nicht in eine Schablone. Er fordert mich nicht auf, mich zu verbiegen. Er manipuliert mich nicht, damit ich tue, was er sagt. Gott ist Freiheit. Gott kann loslassen. Und zugleich lieben.

Wenn ich ihn zum Herrn habe, bin ich frei.

In Galater 5,13 schreibt Paulus: „Ihr aber, Brüder und Schwestern, seid zur Freiheit berufen. … durch die Liebe diene einer dem andern.“ – Das ist der Rahmen der Freiheit: Wir dienen einander in Liebe. Freiheit in Gottes Sinn hat zutiefst etwas mit Beziehung zu tun.

Als Achtjährige durfte ich von Braunschweig mit einer Barbie zurück nach Hause fahren. Das war für mich der Geschmack der Freiheit. Heute lächle ich darüber und weiß: Freiheit ist so viel mehr.

Foto: pixabay | Ildigo


Anderes aus der Kategorie „Zeitgeschehen“

Luise

Luise

Der Tod der 12-jährigen Luise erschüttert. In diesem Blogbeitrag habe ich einige Gedanken zur Trauerrede… Weiterlesen »Luise


Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „In die Freiheit“

  1. Liebe Stephanie!
    Wie anders wäre dein und mein Leben verlaufen, wäre Deutschland noch immer getrennt!
    Dein Beitrag hat mich direkt gedanklich in die Zeit zurück versetzt, als plötzlich die halbe Schulklasse fehlte, weil deren Familien über Nacht „in den Westen“ gefahren sind – so manche Freundin kam nie wieder zurück …
    Auch ich kenne noch den Geruch der „West-Päckchen“ und fühle noch die Aufregung, das Paket im Kreis der Familie feierlich zu öffnen! Bis heute bin ich dankbar, dass uns damals völlig unbekannte Menschen ab und zu mit Kaffee, Seife und Schokolade eine riesige Freude bereitet haben!
    Auch ich muss noch immer den Kloß im Hals runterschlucken, wenn wir die ehemaligen Grenzgebiete per Auto passieren – wir können mit Tempo 120 einfach drüberfahren, wo vor 35 Jahren scharf geschossen wurde!
    Gott Lob und Preis, dass wir – unverdient- in Freiheit leben dürfen!
    Lasst uns all jene Menschen nicht vergessen, deren Völker und Staaten leider keine friedliche Lösung ihrer Streitigkeiten hinbekommen!
    Lasst uns Gott in den Ohren liegen, die Herzen der Machthaber zu verändern, die jeweils betroffene Bevölkerung zu trösten, Frieden überall auf der Welt gelingen zu lassen!
    In Zeiten wie diesen ist das Motto der friedlichen Revolution aktueller denn je: „Schwerter zu Pflugscharen“!

    1. Hallo Maria, danke für deinen Kommentar, deine Gedanken, dein Schlussplädoyer. Besser hätte ich es nicht sagen können. Diese Welt lechzt so sehr nach Frieden und Freiheit. Dass er ausgerechnet bei uns ein Stück werden durfte, ist echt ein Geschenk. Lass uns Gott in den Ohren liegen und nie meinen, Gebete für den Frieden seien nutzlos! Liebe Grüße an dich!

Danke für deinen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert