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Vereiste Herzen

Wie wird ein vereistes Herz eisfrei? Ich greife schnell nach Eiskratzer und Brechstange, versuche es mit Gewalt. Gott geht es anders an. Klüger.

Letzten Donnerstag. Der Eisregen hat alles verwandelt. Als ich durch den Wald gehe, glänzt es mir überall entgegen. Die Zweige sind mit Eis überzogen. An jedem hängen Tropfen über Tropfen, die es nicht mehr geschafft haben zu tropfen. Von der Kälte aufgehalten. Festgefroren.

Wie bizarr das alles ist, wie schön. Jedes alte Blatt, jeder Zweig, jede Knospe, jeder Ast – alles ist ummantelt, umhüllt wie von feinem Glas, durch das ich mitten hindurch jedes Detail erkenne. Die kleine Unebenheit des Zweiges, die Knospen, die schon fertig sind für den Frühling.

Es ist eine Landschaft in Warteposition. Warten auf Sonne, warten auf Wärme. Jetzt wird das Eis nicht schmelzen, dafür ist es zu kalt. Würde ich anfangen, das Eis von den dünnen Zweigen zu kratzen oder die Knospen freizulegen, ich würde ihnen nicht helfen, ich würde sie zerstören.

vereiste zweige
vereiste zweige
vereiste Zweige

Eis taut nicht durch Kopf und Muskeln

Manches in meinem Leben versuche ich mit Gewalt. Dann denke ich: „Das muss doch gehen!“, und strenge mich noch ein bisschen mehr an. Denn bei anderen geht es doch auch. Oder ich erstelle Listen, um mich mal wieder selbst zu optimieren. „Was man nicht plant, das wird nichts.“ Aber mein Kalender ächzt.

Das mit dem Planen stimmt. Zugleich gibt es Dinge, für die die Zeit noch nicht gekommen ist und die vielleicht im Moment einfach nicht dran sind. Noch nicht. Und wenn ich in mich hineinhöre, dann spüre ich, alles wehrt sich dabei. Ich bin noch nicht soweit. Und es darf so sein. Ich kann Eis nicht zwingen, zu tauen. Wenn die Bedingungen stimmen, taut es von ganz allein.

Warteposition. Mein Eis muss noch tauen. Und Gewaltaktionen sind das, was mein Herz gerade nicht braucht. Zu viel Disziplin und selbst auferlegte Regeln können auch kaputt machen, hart machen, bitter machen. Eiskratzen hilft bei Autos, nicht bei Menschen.

Eis taut durch Wärme

Ich denke an vereiste Herzen und stelle mir gerade vor: mein Herz umgeben von einem Eispanzer. Ja, manchmal ist mein Herz so. Ziemlich oft sogar. Hart, kalt, ablehnend. Aber wenn mein Herz wirklich und buchstäblich als Organ vereist vor mir liegen würde, ich würde doch nicht mit der Brechstange herangehen!

Manchmal gehe ich so mit Menschen um und mit mir, mit der Brechstange. „Hab dich nicht so!“, „Reiß dich zusammen!“, „Jetzt mach schon!“, „Das ist doch für eine gute Sache!“, oder „Du musst es nur genug wollen!“ Zugleich helfen diese Sätze nie. Ich kann nichts erzwingen. Selbst da, wo Druck vielleicht etwas in Gang bringt, bleibt immer ein schaler Geschmack von Bitterkeit und Härte zurück.

Ein vereistes Herz, wenn es buchstäblich vor mir läge, würde ich anders behandeln. Ich würde es in die Nähe der Heizung legen oder in warmes Wasser. Vielleicht würde ich den Föhn holen oder es einfach in meine warme Hand legen. Und dann würde ich es halten, drehen und wenden, es abtrocknen, weiterhalten. Bis das Eis getaut ist.

Liebe statt Brechstange

Bei diesem Gedanken halte ich kurz die Luft an. Ungläubig, fragend, erstaunt. Darf und soll es vielleicht wirklich nur so sein? Hat Gott es sich so gedacht?

Habe ich einen Gott, der nicht mit der Brechstange hantiert, sondern einfach nur mit seinen liebevollen Händen?

Mein Herz ist immer noch sehr eisig. Wie oft denke ich, ich habe Gottes Liebe nicht verdient oder ich sollte schon viel aufgetauter sein. Ich bin es nicht. Das Eis hält sich hartnäckig. Und manchmal verkrieche ich mich dann vor Scham und Angst, frage mich, ob Gott mit so jemandem wie mir wirklich etwas anfangen kann und will.

Der einzige Ausweg ist das Bleiben in Gottes warmer und liebender Hand.

Mein Eis-Herz ist in Gottes Hand. Er hält es. Er wird es nach und nach mit seiner Liebe auftauen. Ohne Gewalt. Im Himmel gibt es keine Brechstangen. Gottes warme, liebevolle Hand wird mein Eis schmelzen. Und ich, ich halte einfach still und lege mich in seine Hand.


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Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Vereiste Herzen“

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