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Die Hütte nebenan

Ob die Hütte nebenan schöner ist? Als die Nachbargäste abreisen, sehe ich nach. Warum nur sieht das, was andere haben, immer besser aus?

Gold oder Silber

Sie liegt ein Stück entfernt von unserer Hütte, aber in Sichtweite. Was mich an unserer Nachbarhütte fasziniert, ist das schmale, lange Fenster unterm Dach. Ein Schlafboden? Was auch immer es ist, es sieht gemütlich aus. Und wir haben es nicht.

Der Neid frisst mich nicht auf. Dazu haben wir es in unserer Hütte viel zu gemütlich. Aber er taucht immer wieder auf, nagt ein bisschen, wenn ich an der Nachbarhütte vorbeispaziere. In meiner Fantasie ist sie ein kleines Juwel, ein Goldstück – während wir vielleicht nur die Silbervariante abgekriegt haben.

Nach einer Woche reisen die Nachbarn ab und wie das hier so üblich ist, hängen die Betten und Läufer auf der Veranda zum Lüften – und die Tür steht offen. Ich kann es mir nicht verkneifen, ich muss nachsehen!

Ich stiefele los. Neugierig. Und auch ein bisschen ängstlich, denn ich frage mich: Was mache ich, wenn diese Hütte wirklich schöner ist? Bin ich dann den Rest des Urlaubs frustriert? Ich will es trotzdem wissen.

Die Hütte ist kleiner als unsere, manches erinnert an unsere Hütte. Der Schlafboden ist tatsächlich einer. Aber als ich die helle Holzleiter nach oben klettere, empfängt mich dort nicht der gemütliche Raum unterm Dach, sondern eine flache Schlafnische, in die man wirklich nur hineinkriechen kann.

Mein Neid ist weggeblasen und ich bin plötzlich sehr froh über unser Schlafzimmer. Hier in der Enge könnte ich nicht gut schlafen. Und auch der Wohnbereich der Hütte sieht nicht gemütlich aus. Wie anders ist es doch bei uns! Wie viel besser! Die Goldhütte haben eindeutig wir.

Beschämt trete ich aus der Hütte, erleichtert, erschrocken. Fast habe ich Mitleid mit dem Paar, was hier bis heute Morgen noch Urlaub gemacht hat. Dankbar kehre ich in unsere Hütte zurück.

Unerfüllte Wünsche

Die Hütte nebenan. Das Gras auf der anderen Seite des Zauns. Manchmal bekommen wir die Gelegenheit, die andere Seite wirklich mal zu begutachten und die Realität zu sehen. Oft nicht.

„Wenn das Gras auf der anderen Seite des Zauns grüner ist, kannst du darauf wetten, dass die Wasserrechnung höher ist.“ – Der Spruch enthält viel Wahrheit.

Debbie Macomber

Zurzeit ploppt bei mir das Thema Kinderwunsch mal wieder mehr auf. Ich weiß, es ist abgeschlossen. Ich bin 42. Wir haben jahrelang viel versucht, manches auch bewusst gelassen. Eigentlich sollte ich klar damit sein. Zufrieden. Dankbar für das, was ich habe.

Aber dann sehe ich glückliche Familien, dicke Bäuche, Omas mit ihren Enkeln und Väter mit Kinderwagen. Und ich sehe und fühle, was wir nicht haben. Nie haben werden. Und denke: Irgendwie haben wir die falsche Hütte abbekommen.

Wenn ich tauschen könnte

Bin ich mit meiner Hütte zufrieden? – Das ist die eigentliche Frage. Warum schiele ich als Mensch nur immer zur Hütte nebenan und male sie mir in den schönsten Farben aus? Warum meine ich, anderen ginge es besser und Gott würde mir etwas vorenthalten? Mit wem würde ich das Leben denn wirklich tauschen wollen?

Bei dieser letzten Frage werde ich still, denn ich merke: Nein, ich will mit niemandem komplett tauschen. Ich bin ich und ich mag mein Leben, auch wenn ich mich durch vieles hindurchkämpfe.

Ich will nicht das tolle Haus mit Garten, wenn ich die Probleme des Nachbarn mitgeliefert bekomme. Und ja, ich hätte gern Kinder und vermisse so vieles in unserem Leben, was mit Kindern da gewesen wäre. Aber Kinder sind kein Garant für das, was ich suche.

Es gibt nicht das ideale Leben, die ideale Hütte. Niemand hat sie. Auch wenn es von außen manchmal so aussieht.

Meine Hütte lieben lernen

Mag ich meine Hütte? Kann ich damit leben, dass ich nicht alles in meiner Hütte habe?

„Verdirb dir nicht das, was du hast, indem du das begehrst, was du nicht hast.“ (Ann Brashares)

Meine Hütte, mein Leben bietet mir gewisse Voraussetzungen und ich habe Gestaltungsspielraum, aber manches ist in meiner Hütte nicht drin – aber vielleicht in der des Nachbarn. Kann ich das aushalten? Kann ich gönnen? Kann ich zufrieden mit dem sein, was ich habe?

Ich darf trauern um das, was in meinem Leben nie sein und werden durfte. Ich muss es sogar. Ich werde nie Mutter sein. Das tut weh! Aber ich wünsche mir, dass die Dankbarkeit immer wieder hindurchleuchtet. Denn ich habe so viel. Ich bin beschenkt. Gott hat mir nichts vorenthalten.

Foto: pixabay | Efraimstochter


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Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.



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Stephanie Kelm

ist verheiratet und zu Hause im Taunus. Sie liebt es, schreibend und wandernd Gottes Welt zu entdecken und ist staunend und stolpernd unterwegs ins Vertrauen.


2 Gedanken zu „Die Hütte nebenan“

  1. Liebe Steffi,
    danke für Deinen berührenden und ehrlichen Blog mit dem Bild der Hütte nebenan. Ich kann die darin beschriebenen Gefühle sehr gut nachvollziehen, auch wenn ich keine Frau bin. Vielleicht kann ich nicht genau das nachempfinden, was Du innerlich erlebst und doch gibt es so vieles, was wir nicht haben und irgendwie doch haben wollen. Ich halte es für wichtig, den Schmerz darüber erst einmal anzuerkennen und zu benennen und dann im eigenen Tempo loszulassen. Das kann wahrscheinlich nur jeder für sich selbst tun. Ich danke Dir für die Erinnerung, dass das Gras auf der anderen Seite der Straße eben nicht grüner ist und wenn, dass es seinen „Preis“ hat. Was wir sind ist sooo viel wichtiger als was wir haben. Gott segne uns alle auf dem Weg, dies immer wieder neu zu entdecken. Danke Dir!

Danke für deinen Kommentar.

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